Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1871

7 In gleicher Weise Ungarn, das durch die übergebührliche Pflege sogar einer verdorbenen lateinischen Sprache und die nur gar zu gerne geduldete Beein- flußung durch das deutsche Element allen nationalen und moralischen Halt verlor, bis endlich patriotische Männer durch die Kisfaludy Gesellschaft die Academie und andere Nationalinstitute die nationale Wiedergeburt des Bolkes anbahnten. Die Aneignung der Bildung des alten Geschlechts ist Ziel und Aufgabe der Jugendbildung. Bildungsziel, Bildungsstoff und Bildungsmittel fallen zu­sammen. Bilden wollen an einem Stoffe und Mittel, das nicht in dem Bildungsziele des Lebens gegeben ist, ist und erzeugt die heilloseste Mißbildung. Die künstliche Trennung des Bildungsmittels vom Bildungsziele gehört der neuern Zeit an, sie ist das Kind psychologischer Unkenntniß so wie pädagogischer Unfähigkeit und ist vom Schlendrian beibehalten worden. Die Volksbildung, der Bildungsstand des Bolkes bestimmt zunächst und unter einfachen Verhältnissen die Bildung des Heranwachsenden Geschlechts. Zu ihrer Art erziehen die Eltern ihre Kinder; ihnen selbst gleich bilden sie die­selben und rüsten sie mit ihren Kenntnissen und Fertigkeiten aus; theilen ihnen ihre im Leben gesammelten Erfahrungen mit; ersparen ihnen die Unannehm­lichkeiten und Mißerfolge; kürzen ihnen den Weg ab und befähigen sie so in das Leben der Alten und ihre Wege einzutreten und da fort zu fahren wo jene aufgehört haben. Dieser Bildungsstand ist also das einfache und ungekünstelte Bildungs­ideal für die Jugend. Wo die Alten andere Bildung nicht kennen, wünschen sie auch keine andere für ihre Kinder: denn was man nicht kennt, kann man auch nicht lieben und wünschen. Wo die Alten aber Besseres sehen, mag es nun wirklich oder nur in ihrer Einbildung besser und höher sein, da wünschen sie im Gefühle der Mangelhaftigkeit ihrer eigenen Bildung dieses Bessere ihren Kindern anzueignen. Das Bildungsideal fällt mit dem Bildungsstände der Alten nicht mehr zusammen, ja beide können einander völlig ausschließen. Dies ist z. B. in der deutschen Bildung zur Zeit des Humanismus geschehen. Durch ihn ist der furchtbarste Riß in die deutsche Bildung gekommen. Wo die Gesellschaft sich abstuft, trachten die Niedern ihren Kindern die Bildung der Höhern anzueignen. Höher und besser erscheint nun aber namentlich alles was fern und fremd ist. Das Ungewöhnliche nur bewundern und be­gehren wir, um so eifriger, je glänzender und vortheilhafter es scheint und je weniger der eigene Besitz befriedigt. Wer aus fremden Ländern heimkehrt bringt bekanntlich gar leicht Ueber- schätzung des Fremden und Unterschätzung des Heimischen zurück: Unbehagen, Unzufriedenheit, Blasirtheit sind die Folge. Nur wer verständigen Blickes und zuffiedenen Herzens in die Fremde geht, kehrt bereichert heim.

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