Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1871

4 nicht, was sie will, hat sie kein festes Ziel im Auge, so kann von einem richti­gen Wege zum Ziele nicht die Rede sein. Ihr Gang wird schwankend und ungewiß und Niemand vertraut ihr. Es gibt Leute die bei aller Geschäftigkeit von früh bis spät,'trotz der schlaflosin Nächte voll Sorgen Nichts fördern, Nichts vor sich bringen. Diesen unglücklichen Leuten, deren guten Willen man gerne anerkennt, gleichen in vieler Beziehung die Gymnasien. Trotz aller Mühe und treuer Sorge, welche viele Lehrer auszeichnet, sind ihnen ihre Zöglinge doch wenig dankbar. Warum? Weil sie Ziel und Zweck ihres Thuns sich nicht klar machen, weil sie die Schulen für Selbstzwecke halten, da sie doch nur im Solde des factischen Lebens stehen, dem sie nicht genügend Rechnung tragen; weil die Gymnasien mit ihren vorwiegend altsprachlichen Studien nur für einzelne wenige Stände vorbilden (Fachphilologeu, Theologen); weil gerade diese Art der Bildung er­fahrungsmäßig die genannten Berufsclassen in ihrer Wechselwirkung mit dem Leben unfruchtbar macht. Es wird im Folgenden zunächst gelten: Ziel und Zweck der Schulen überhaupt und der Gymnasien insbesondere klar zu legen und einen prüfenden Blick auf das Bildungsideal zu werfen, welchem sie entsprungen sind, wovon die Frage untrennbar ist, ob jenes Bildungsideal noch das unsere ist; wenn es das nicht mehr ist, welches das unsere ist und endlich wie aus dem alten Zustande zu dem neuen übergegangen werden kann? Schulen sind Anstalten, welche den Unterricht der Jugend in nützlichen Kenntnissen zum Zwecke haben; es sind Bildungsanstalten. Auch Gymnasien sind Schulen und zwar begreift man sie mit Realgymnasien und Realschulen unter dem gemeinsamen Namen der Mittelschulen. Diese unterscheiden sich von einander theils durch das Maß des Wissens aus den einzelnen Disci- plinen, theils durch den hiedurch bedingten Bildungsgang. Was heißt aber bilden, was ist Bildung, wie geht die Bildung vor sich und wie wird sie am natürlichsten erzielt? Bilden heißt ein Rohes nach einem Zwecke gestalten (vergl. das latei­nische erudire), in einem Rohen eine Idee ausprägen und dieses dadurch veredeln. Der Künstler ist ein Bildner; das Bild, das er schafft, ist nur ein Ab­bild des Urbildes, das seinem Geiste vorgeschwebt hat. Ein Künstler ist auch der Jugendbildner, seine Kunst aber ist die schwierigste, weil er den unberechen- barsten Stoff bildet, — die höchste, weil er in diesem Stoffe die höchste Idee, den Menschen, den Gott sich zum Ebenbilde schuf, ausprägen soll. Stein und Thon fügen sich willenlos der Schärfe des Meißels, dem Drucke des Fingers; wenn aber das Kind mcht will, erschöpft der Iugendbildner erfolglos alle seine Kräfte, alle seine Kunst.

Next

/
Thumbnails
Contents