Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1871

3 richt solchen Stoff auswählen, der dem Leben entnommen ist, in das der Schüler geführt werden soll, einen Stoff der als solcher auch nach der Schule in Werth und Geltung bleibt, nicht abstirbt.*) Bei der formellen Bildung aber darf und kann man sich um so weniger beruhigen, als es thatsächlich unwahr ist, daß der Geist an einem Denkstoffe geübt nun auch zu aller andern Geistesarbeit fähig sei. Es bildet und ent­wickelt die Beschäftigung mit Sprachen nur den Sprachenverstand, die mit Mathematik den mathematischen, die mit Botanik den botanischen, die mit mili­tärischen Dingen den militärischen Verstand. Gute Mathematiker sind oft schlechte Philologen und umgekehrt; ein tüchtiger Soldat ist ein schlechter Botaniker u. s. w. Warum treibt man denn in den Schulen allenthalben nicht bloß einen Gegenstand, sondern viele, da doch ein einziger recht und ganz betrieben mehr leisten müßte als die vielen? Wie der Magen nicht lange ein und dieselbe Speise verträgt und der Organismus zu seinem Bestehen mancherlei Speisen verlangt, so auch der Geist. Er will und muß durch vielerlei Dinge vielseitig angeregt werden: Fleiß und Geschicklichkeit zu einem Dinge müssen dem Menschen von den ersten Jahren angewöhnt und zum unumgänglichen Bedürfnisse gemacht werden. Bei der Vielheit der Bildungsstoffe, welche unsre Neuzeit bietet, sind wir fast arm, weil der Reichthnm den arm macht der ihn nicht zu gebrauchen weiß. Die Schule gleicht einer Frau die im Besitze von Geschmeide, Tüchern und Seidenstoffen damit nichts zu machen weiß und alle diese Kostbarkeiten im Kasten verschlossen hält. Daß dies der weiseste und angemessenste Gebrauch des Reichthums sei wird Niemand behaupten, ebensowenig, daß solcher Erwerb der Anstrengung verlohne. Im festen Bunde mit den Männern des Schlendrians, der Unfähigkeit, stehen die kirchlichen Dunkelmänner, welche sich Jener für ihre Zwecke bedienen. Da sie die Bildung und die Bildungsanstalten nicht ganz aus der Welt schaffen können, so bemächtigen sie sich derselben und suchen sie nach Thunlich- keit unschädlich zu machen; sie verkehren Bildung in Routine und Dressur, be­halten aber Name und Schein bei, wodurch sie die oberflächliche und urtheillose Menge der Gebildeten und Ungebildeten täuschen. Wie der Staatsmann, der Gesetzgeber, der Maschinenbauer, der Land­bauer, kurz Jeder, der Etwas schaffen will, vor allem Hellen Blickes Ziel und Zweck seines Schaffens zu fassen sucht, dann Mittel und Wege wählt und un­bekümmert um diese oder jene Hindernisse und Fehltritte mit Festigkeit und Zuversicht sein Ziel verfolgt, so muß es auch die Schule thun. Weiß diese *) Besonders durchgeführt von Schleiermacher. Erziehungslehre, Berlin 1849, S. 382, 418 und öfters. Köchly. Vermischte Blätter zur Gymnasialreform, 1848.

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