Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1871

31 Auch nach dieser Seite hin dem Leben gerecht zu werden, ist Aufgabe der Gymnasien. Die Eigenart und der Geist eines Volkes prägt sich am schärfsten in seiner Sprache und Litteratur aus. Auf welche Sprachen und Litteraturen kommt es nun zunächst an? Es liegt auf der Hand, daß dieses Bedürfniß für verschiedene Völker ein verschiedenes ist. Für Siebenbürgen entscheidet zunächst die politische Zusammen­gehörigkeit mit Ungarn für die ungarische Sprache und Litteratur. Von andern Sprachen können für die Schule nur diejenigen in Betracht kommen, welche nicht nur weit verbreitet sind, sondern die auch eine reiche Litteratur aufweisen, die von europäischen Culturvölkern gesprochen werden, deren geistiger und politischer Einfluß auf die Entwicklung Europas bestimmend eingewirkt hat und noch einwirkt. Diese Sprachen sind Französisch und Englisch. Das Französische hat in Europa die größere Verbreitung voraus, das Englische ist außerhalb Europa am weitesten gekannt und hat eine ungleich reichere Litteratur als das Französische. Russisch, Polnisch und Romänisch haben zwar die Nachbarschaft und eine weite Verbreitung für sich, aber es fehlt ihnen die Litteratur, die geistige und politische Wichtigkeit. Eine Conversationsfertigkeit in jenen fremden Sprachen zu Wege zu bringen, kann nicht die Aufgabe der Schule sein und zwar aus mehreren Gründen: 1. weil die Umgangssprache und Fertigkeit in denselben nie und nirgends anders als durch den Umgang und lebendigen Verkehr angeeignet werden kann; 2. aber hat die Schule überhaupt als Bildungsanstalt vor allem Bildung zu geben d. h. des Schülers Geist und Gemüth durch entsprechenden Stoff zu nähren, den nur die gedankenreiche Litteratur der Sprache nicht aber die gedankenleere, formelhafte Umgangssprache enthält; 3. verhältnißmäßig nur wenige Schüler kommen im Leben in die Lage eine mühsam gewonnene Conversationsfertigkeit anzuwenden. Gerade solche Fertigkeit schwindet aber bald wieder, wenn sie nicht in beständiger Uebung erhalten wird; 7. Wie den Gebildeten obliegt, die Bildung ihres Volkes im Zusammen­hänge zu erhalten mit derjenigen der wichtigsten Kulturvölker neben ihnen, so auch vor ihnen. Die Gegenwart läßt sich nicht loslösen von der Ver­gangenheit. Unter allen Kulturvölkern des Alterthmns hat auf die Bildung der abend­ländischen Völker keines einen tiefer« und nachhaltigern Einfluß geübt als die Römer. Im Staats- und Rechtsleben, in der Kunst und Wissenschaft sind diese Einflüße kenntlich und zum Theil bis auf den heutigen Tag wirksam. Hervorragende Werke der Wissenschaft sind lateinisch geschrieben (Car-

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