Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1871
29 unthunlich, sogar denjenigen Schülern der ober« Klassen, die sich für das Studium der Naturwissenschaften oder Mcdicin entschieden haben, grundlegenden Unterricht in der Chemie zu ertheilen, als ob diese und alle andern Schüler nicht weit besser das Griechische entbehren könnten. Dazu kommt noch, daß die Universitäten mit ihren bestehenden Einrichtungen wenig dazu geeignet sind, diese Grundlage nachträglich zu geben. Daß der naturwissenschaftliche Unterricht im Vergleiche mit den Sprachen wenig Bildungsgehalt habe, wird nur von solchen Leuten behauptet, die selbst gar nichts von Naturwissenschaften verstehen. Diesen möchte ich Herders Worte entgegenhalten, der wohl auch philologische und ästhetische Dinge zu beurtheilen wußte. „Wenn der Jüngling in Gedanken jene hohen Erdrücken besteigt und ihre sonderbaren Phänomene kennen lernt: wenn er sodann mit den Flüssen hinab in die Thäler wandert, endlich an die Ufer des Meeres kommt und überall andere Geschöpfe an Mineralien, Pflanzen, Thieren und Menschen gewahr wird; wenn er einsehen lernt, daß, was ihm in der Gestalt der Erde sonst Chaos war, auch seine Gesetze und Ordnungen hat; wie hiernach und nach den Gesetzen des Klima Gestalten, Farben, Lebensarten, Sitten und Religionen wechseln und sich verändern und ungeachtet aller Verschiedenheit doch allenthalben ein Brudergeschlecht ist von Einem Schöpfer erschaffen, von Einem Vater entsprossen, nach Einem Ziele der Glückseligkeit auf so verschiedenen Wegen ringend und strebend — o wie wird sich sein Blick erheben, wie wird sich seine Seele erweitern! — — O hätten manche kurzsichtige, stolze, intolerante Barbaren, die sich einbilden, daß außer ihrem Erdwinkel kein Heil sei, und daß die Sonne der Vernunft nur in ihre Höhle scheine in ihrer Jugend nur Geographie und Geschichte (beide im wahren und würdigen Umfange ihrer Begriffe betrachtet) besser gelernt: unmöglich würden sie die enge Binde ihres Hauptes zum Gehirnmesser der ganzen Welt und die Sitten ihres eingeschränkten Winkels zur Regel und Richtschnur aller Zeiten, aller Klimate und Völker gemacht haben. 5. Diejenigen, welche die Aufgabe der Gymnasien auf formale Bildung beschränken, haben der Mathematik auch lediglich behufs formaler Bildung eine Stelle im Gymnasial-Unterrichte angewiesen. Anders wir. Sie gilt uns nicht bloß um ihrer formalbildenden Kraft willen, sondern zunächst wegen ihres Inhaltes zur Begründung der Naturwissenschaften und wegen ihrer mannigfachen Verwendbarkeit im bürgerlichen Leben. Damit nimmt man weder ihrer Würde, noch ihrer wissenschaftlichen Behandlung auch nur das Mindeste. Aus praktischen Bedürfnissen ist alle Wissenschgft entsprungen und ihre letzte Beziehung muß jede Wissenschaft auch wieder zum Menschen und zum menschlichen Leben haben, womit keineswegs materielle Zwecke gemeint sind. *) *) Wiese. In dem UntcrrichtSwesen Englands ist die Beziehung auf das lebendige Leben sehr verständlich.