Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1871

28 Statt durch ?ie Betrachtung der einzelnen Pflanze und des einzelnen Thieres als Repräsentanten einer Gattung zum wissenschaftlichen Systeme über­zuleiten, läßt man nur allzu oft todte Namen und Systeme auswendig lernen, als ob das Kind die Dinge selbst schon kennte, läßt es seine Sinne nicht ge­brauchen und verdirbt ihm dadurch die angeborene Lust und Liebe zu der Natur sistematisch. Aus dieser verkehrten Lehrweise leitet sich auch die Behauptung her, vaß der Unterricht in der Naturgeschichte keine bildende Kraft habe. Es ist freilich gewiß besser, dgß ein Blatt in der Seele des Kindes unbeschrieben bleibe, als daß es durch solchen ungeschickten Unterricht besudelt und für immer unbrauchbar werde. Der Mangel eines tüchtigen Unterrichts in der Natur­geschichte und den Naturwissenschaften überhaupt auf den Gymnasien ist schon oft scharf gerügt worden und wird von jungen Medicinern schmerzlich empfunden, die von den allergewöhnlichsten Pflanzen, welche dem zukünftigen Arzte wohl bekannt sein müssen, gar keine Kenntniß haben. Die gleichen Erfahrungen machen dieselben mit der Chemie. Was heutigen Tages von der Chemie jeder nur einigermaßen gebildete Mensch aus allen Ständen versteht, das ist dem jungen Manne, welcher im günstigen Falle zwölf Jahre an Elementarschule und Gym­nasium gelernt, meist vollkommen neu. Die ganze Strömung der Neuzeit weist unverkennbar aus eingehenderes Studium der Naturwissenschaften hin und es kann kein Mensch mehr für gebildet gelten, der sich nicht wenigstens eine über­sichtliche Kenntniß derselben angeeignet hat. Auch muß mit diesen Studien früh begonnen werden, denn es braucht die Beobachtung der Natur eine eigene Bildung des Auges und Geistes von Jugend auf, die nur an Naturdingen erreicht werden kann. Mit der wissenschaftlichen Methode der Jnduction, welcher die moderne Wissenschaft ihre größten Erfolge verdankt, welche aber die bisherige Lehrver­fassung der Gymnasien fast ganz außer Acht läßt, wird gerade durch einen geschickten Unterricht in der Naturgeschichte der Schüler am leichtesten vertraut. Sollen die Wissenschaften im Leben gleichmäßige Pflege und Förderung finden, so ist es auch nöthig, daß sie schon an den Gymnasien vorbereitet und zu ihnen angeleitet wird. „Nicht auf frühreifes Abrichten (wie von einseitigen Philologen behauptet wird) ist es abgesehen, sondern auf rechten Anfang und feste Begründung solcher Bildung" (Raumer. Päd. 3, 444). Daß außer dem Thier- und Pflanzen­reiche auch das Steinreich ernste Berücksichtigung finden muß ist selbstverständlich. Gerade Siebenbürgens Natur ladet zur Pflege dieser Wissenschaften von selbst ein, mehr als die anderer Länder. Daß zur B i l d u n g Kenntniß der wichtigsten physikalischen Gesetze gehört, ist seit dem vorigen Jahrhunderte allgemein an­erkannt. Die Physik hat daher auch in den Gymnasien überall Eingang ge­funden. Nicht so die Chemie. Aus äußern Gründen um nicht die Schüler mit Lehrstunden und Lehrstoff zu überbürden erscheint es den Gymnasial-Lehrplänen

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