Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1871

23 sittlich und geistig gebildet, mit Kenntnissen und Fertigkeiten ausgerüstet und befähigt werde, in das Leben der Gegenwart, wie es in Kirche, Staat, Gewerbe, Handel, Kunst und Wissenschaft ausgeprägt und geworden ist, als lebendige Glieder einzutreten, mit Bewußtsein und Verständniß des Bestehenden und Ge­wordenen darin zu wirken und es im Zusammenhänge mit dem Ueberlieferten weiter zu entwickeln. Wie die Bildung selbst sich mannigfach abstuft und die Bedürfnisse der Lebenskreise, in welche die Kinder einst treten sollen, verschieden und abgestuft sind, bedarf es auch mannigfacher Bildungsanstalten. In jeder sind solche Bildungsstoffe zu wählen, welche in dem später» Leben des Kindes werthvoll sind und voraussichtlich zur Anwendung kommen werden. *). Bei beendigter Schulzeit muß der Schüler die Gegenwart erreicht haben. Die Bildung unserer Zeit ist, abgesehn von der Fertigkeit im Lesen, Schreiben und Rechnen das Product einer Reihe von Factoren und wie diese im Leben zusammen wirken, so müssen sie es auch in der Schule und wo die Schule nicht vollenden kann, muß sie wenigstens den Grund legen. Da die Schule vielen Berusskreisen dienen soll, alle diese aber gleiche Rechte und An­sprüche haben, so kann sie, ohne gegen die Mehrzahl ungerecht zu werden, nur das lehren, was allen gemeinsam ist. So weit es mit dieser gemein­samen Bildungsaufgabe verträglich ist, kann und soll sie auch die Berufsbildung, die besondere berücksichtigen. Am einfachsten wird diese zweifache Aufgabe gelöst dadurch, daß der Unterricht in jenen, zur allgemeinen Bildung gehörigen Gegenständen für alle Schüler verbindlich ist, anderer Unterricht für besondere Berufskreise nur in so weit sich das Bedürfniß dafür herausstellt. Nach dem was oben über das Wesen der Bildung dargelegt ist, ergibt sich leicht, worin die allgemeine Bildung, Kern und Stamm der niederer» wie höhern besteht. 1. Das Verhältniß des Menschen zn Gott, seine Pflichten gegen Gott und Menschen lehrt der Religionsunterricht. Da die Schüler gewöhnlich verschiedenen Bekenntnissen angehören, so muß der Religionsunterricht sich be­schränken auf das, was allen christlichen Bekenntnissen gemeinsam ist und ihnen zu Grunde liegt: der Religionsunterricht muß christlich sein, nicht lutherisch, nicht reformirt, nicht katholisch. Es ist eine böse Gewohneit, daß wir immer schlechtweg sagen: Lutheraner, Reformirte, Katholiken, statt lutherische Christen, reformirte Christen, katholische Christen, daß wir also immer das Besondere, *) *) Schleiermacher: Die pädagogische Wirksamkeit besteht darin, dem, was im gewöhn­lichen Leben von selbst erfolgen würde durch Ordnung und Zusammenhang eine größere Intensität zu geben. Die Gegenstände an denen Ordnung und Zusammenhang geübt wird, müssen im Leben selbst liegen. Hieraus folgt, daß man keinen Lehrstoff nehmen soll, welcher nachher im Leben selbst seine Geltung verliert, denn ein solcher würde in dem sich selbst überlassenen Leben nicht vorgekommen sein.

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