Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1871
21 in das Reich der Ideen (Idealismus). Napoleons eiserne Zuchtruthe trieb die deutschen Idealisten zurück auf die Erde. Man begriff, daß das Reinmenschliche eine Chimäre sei, daß alle Güter schal sind, wenn ihnen nicht die Freiheit und Größe des Vaterlandes zu Grunde liegt. Die Jugend, welche aus den Freiheitskriegen zu Schule und Universität zurückkehrte, zeigte entschiedenen Widerwillen gegen das classische Alterthum; sie wollte endlich lieber selbst ein freies und mächtiges Vaterland haben, als immer nur Griechen und Römer anstaunen und glücklich preisen. So wurde also die Stütze des Idealismus ebenso morsch, wie die Mauer, welche sie stützen sollte. Man mußte also eine andere Stütze ersinnen: Diese fand man in der f o r m a l e n B i l d u n g. Sie war aber nach wenigen Jahren ebenso morsch wie jene. Das sehen alle die daran vorüber gehen, nur jene nicht die daran emsig bauen, während ihr Unterbau schon zerbröckelt. „In Preußen wendeten sich die schlesischen (1831) und die preußischen Stände (1834) an die Regierung um eine Aenderung in der Gymnasialverfassung" (Wiese). Die Wünsche, welche sie aussprachen, sind zu bezeichnend, als daß sie nicht hier eine Stelle verdientem Sie wünschten: 1. „Den Unterricht in den Gymnasien mehr nach den Bedürfnissen der nicht-studierenden Jugend eingerichtet und zu dem Ende 2. den Unterricht in den realen Wissenschaften vom Anfänge an mit gleicher Gründlichkeit wie der Sprachunterricht behandelt, 3. die neuern Sprachen mehr berücksichtigt, 4. die Maturitätszeugnisse mehr mit Rücksicht auf den Umfang der Kenntnisse im Allgemeinen als auf die alten Sprachen ertheilt." (Wiese). Der Grundgedanke war offenbar der: Unserer Jugend wünschen wir mehr Bildung und Kenntnisse, die im Leben frommen, als Gelehrsamkeit und todtes Wissen; unsere Zeit stellt andere Anforderungen an das Leben als die vergangenen Jahrhunderte; unsere Bildung ist eine andere geworden, also müssen auch die Bildungsmittel geändert werden; die moderne Bildung muß auch zum Bildungsmittel gemacht werden, sonst wächst die Jugend nicht in die Gegenwart hinein, sondern in die Vergangenheit; ihr erzieht lebendige Mumien, die ihre Zeit nicht verstehen und zu ersprießlicher Wirksamkeit im Leben nicht befähigt oder gar unfähig gemacht sind. „Auch in den Kreisen der deutschen Gymnasiallehrer reifte in den vierziger Jahren mehr und mehr die Erkenntniß, daß die Gymnasien ihren Zweck nicht erfüllten. Die Jahre 1848 und 1849 zeigen auch auf diesem Gebiete ein ernstes 'Ringen nach Beseitigung des abgelebten Alten und Aufbau eines bessern Neuen. Daß die altklassischen Studien aufgehört hatten universales Bil- dungsmittel zu sein, war die Ueberzeugung auch hervorragender Philologen wie Köchly in Dresden, Mützell, Kühnast, Hierke u. A.