Budapest und Wien. Technischer Fortschritt und urbaner Aufschwung im 19. Jahrhundert - Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs 9. - Beiträge zur Stadtgeschichte 7. (Budapest - Wien, 2003)

Peter Csendes: Stadt und Technik. Wissenschaftlicher Fortschritt und urbane Entwicklung

8 Wissenschaftliche und technisch-praktische Erkenntnisse waren eine entscheidende Voraussetzung für diesen urbanen Fortschritt. Bei der Betrachtung der technischen Entwicklung im 19. Jahrhundert wird man für Österreich wie für Ungarn in Rechnung stellen müssen, dass ungeachtet aller Tradition die großen Innovationen nicht von Mitteleuropa ausgegangen sind. So konnte es auch kein Zufall sein, dass viele bedeutende Erfindungen nicht jene Akzeptanz und Resonanz gefunden haben, die sie verdient hätten. Der Feudalstaat basierte durch Jahrhunderte auf der Landwirtschaft und konnte sich nur allmählich der wirtschaftlichen Notwendigkeit einer Neuorientierung stellen. Nun ging mit dem urbanen Fortschritt eine Spezialisierung und fachliche Vertiefung insbesondere in den Natur- und Ingenieurwissenschaften einher. Man muss dabei als einen wesentlichen Aspekt berücksichtigen, dass der Gesellschaft dafür nur eine sehr begrenzte Gruppe an Fachleuten zur Verfügung stand, die weitgehend auch erst selbst diese Expertise entwickeln mussten. Doch auch die Kommunalpolitik war darauf nicht vorbereitet und unterlag selbst diesem Lem- und Erfahmngsprozess. Bahnbrechend und in vielerlei Hinsicht vorbildhaft wurde das 1862 erschienene Buch „Der Boden der Stadt Wien nach seiner Bildungsweise, Beschaffenheit und seinen Beziehungen zum bürgerlichen Leben“ von Eduard Sueß. Praktische Grundlagenforschung und neue wissenschaftliche Erkenntnisse wurden in ihrer gesellschaftlichen Relevanz vorgebracht. Die präzise Erforschung der geologischen Grundlagen schuf die Basis für die Großprojekte im Verkehrs­bereich, im Wasserleitungs- und Grundbau, aber auch für Problemlösungen bei der Anlage neuer, einer wachsenden Bevölkerung entsprechender Friedhöfe. Für die Großbauvorhaben im Wohnbau wie im Ingenieurbau waren die Fortschritte in der Baustatik eine wesentliche Voraussetzung, worum sich Georg Rebhann am Polytechnikum besonders verdient machte, der auch als erster Belastungsversuche durchführte. 1878 wurde eine städtische Prüfanstalt ins Leben gerufen, die schließlich als Abteilung des Bauamts institutionalisiert wurde. Eduard Sueß (1831-1914) nimmt ohne Zweifel eine herausragende Stellung in der österreichischen Wissenschaftsgeschichte ein. 1857 zum außerordentlichen Professor für Paläontologie an der Universität Wien ernannt, wurde er später Professor für Geologie und zu einem der Begründer der modemen Geowissenschaften. Als Gelehrter international anerkannt, Präsident der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, stellte er seine Kenntnisse und Fähigkeiten bereitwillig in den Dienst der Öffentlichkeit. Seine für Wien bedeutendsten Leistungen waren sein Einsatz für das Zustandekommen der Ersten Hochquellenwasserleitung (1870-1873) und für die Donauregulierung (1869-1875), wofür er zum Ehrenbürger ernannt wurde. Sueß war Mitglied des Wiener Gemeinderats, aktiv in dessen Kommissionen tätig, gehörte dem Niederösterreichischen Landtag und Landesausschuss an, wo er insbesondere als Bildungspolitiker wirkte. Schließlich wurde er in den Reichsrat gewählt. Älter als Sueß war Adam Burg (1797-1882), Direktor des Wiener

Next

/
Thumbnails
Contents