Budapest und Wien. Technischer Fortschritt und urbaner Aufschwung im 19. Jahrhundert - Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs 9. - Beiträge zur Stadtgeschichte 7. (Budapest - Wien, 2003)
Peter Csendes: Stadtentwicklung und Stadtplanung in Wien im 19. Jahrhundert
39 gezwungen waren, Untermieter (für das Kabinett) oder Bettgeher aufzunehmen, um diese Kosten - besonders im Fall von Arbeitslosigkeit - abdecken zu können. In vielen Fällen dienten diese Wohnungen auch Kleingewerbetreibenden und Fleimarbeitem und besonders Heimarbeiterinnen als Arbeitsplatz. Besondere Arbeiterwohnhäuser, die von einzelnen Firmen oder durch Stiftungen errichtet wurden, blieben Einzelfälle. Erst um die Jahrhundertwende kam es allgemein zu Verbesserungen, wobei sich zwar der Grundtyp und die Wohnungsgrößen nicht änderten, jedoch eine geringere Nutzung der Bauflächen für bessere Wohnbedingungen (Luft und Licht) sorgte. Auch im hygienischen Bereich konnte der Standard angehoben werden. Eine grundsätzliche Änderung der Bauphilosophie, die allerdings auch am großen Baukörper (Superblock) festhielt und die Wohnungsgrößen nur unwesentlich veränderte, brachte erst die Bautätigkeit der Gemeinde Wien nach dem Ersten Weltkrieg. Diese endgültige Öffnung der Stadt nach dem Fall des Linienwalls veranlasste den Gemeinderat, Generalbaulinienpläne ausarbeiten zu lassen, die bereits über die Stadtgrenze hinausgingen. Auch sie waren lange Zeit ausschließlich Straßennetzpläne und vom Gedanken des Rastersystems geleitet. Immer deutlicher zeigte sich jedoch die Notwendigkeit, das de facto Zusammenwachsen von Stadt und Vororten einer echten Eingemeindung zuzuführen, da viele Probleme unter den gegebenen Voraussetzungen nicht lösbar waren (Schaffung eines Massenverkehrsmittels, Regulierung des Wienflusses, Anlage der Gürtelstraße an der Stelle des Linienwalls u.a.). Da jedoch auch unterschiedliche lokale und Gruppeninteressen einer Eingemeindung entgegenstanden, gelang es erst 1890, diese gesetzlich durchzuführen und mehr als 30 Ortsgemeinden ganz oder teilweise mit Wien zu verbinden. Als Teil der Integration der neuen Bezirke (11-19) sollte ein Generalregulierungsplan entwickelt werden. Eine internationale Konkurrenz wurde veranstaltet, als deren Sieger Otto Wagner aus Wien und Josef Stubben aus Köln hervorgingen. In der Fachwelt wurde das Ergebnis nicht allzu hoch bewertet, da man den Wettbewerbsteilnehmern sehr viel vorgegeben hatte, auch wirtschaftliche und soziale Aspekte kaum eine Rolle spielten. Unter den verschiedenen dabei entwickelten Überlegungen stach besonders der Gedanke eines „Volksrings“, eines 750 m breiten Grüngürtels, der das verbaute Gebiet umgeben sollte, hervor. Diese Vorstellung bildete die Grundlage für den späteren, 1905 vom Gemeinderat beschlossenen „Wald- und Wiesengürtel“, der bis heute der Stadt ein wertvolles Naherholungsgebiet sichert. Ein vollständiger Regulierungsplan kam jedoch nie zustande, es wurden statt dessen bei Bedarf lokale Lösungen entwickelt. Die 1890er Jahre hatten in Wien politisch den Durchbruch der Massenparteien gebracht. Eine Verbesserung des Zugangs zum Wahlrecht beendete die Herrschaft liberaler Gruppen im Gemeinderat und bescherte 1896 der Christlichsozialen Partei, die sich auf kleinbürgerliche Schichte stützen konnte,