Budapest und Wien. Technischer Fortschritt und urbaner Aufschwung im 19. Jahrhundert - Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs 9. - Beiträge zur Stadtgeschichte 7. (Budapest - Wien, 2003)

Ferenc Vadas: Das Vollbahnnetz und die Bahnhöfe

137 Der Zentralbahnhof der königlich ungarischen Staatseisenbahnen Die innere Gestaltung diente der Trennung nach gesellschaftlichen und Beförderungsklassen, mit separaten Warteräumen und Restaurants, mit einer, den Bedürfnissen der Zeit entsprechenden Halle für die Auf- und Ausgabe des Gepäcks und einem eigenen Gebäude für die Eilgutaufgabe. Das Typische der Grundrisslösung zeigt, dass bei den früher - schon 1872 - ausgefertigten Plänen des zentralen Bahnhofes der MÁV dasselbe Schema umgesetzt wurde, mit dem Unterschied, dass die Abfahrts- und Ankunftsseiten auf dem gewohnten Platz waren, die Hauptbaumasse der beiden Seiten symmetrisch gestaltet war und außerdem, dass die Eingangshalle der Ankunftsseite ebenfalls einen enorm großen Pavillon erhielt und der Hofwarteraum sich von den anderen Pavillons kaum unterschied. Der Stil des Gebäudes und vor allem seine Empfangshalle sind aber völlig anders: Anstatt eines von Eisensäulen gehaltenen Polonceau- Dachgestells tragen die auf den Seitenwänden ruhenden parabolischen Bogenträger die Dachkonstruktion, und die Glaswand an der Hauptfront ist von einem gewaltigen, einjöchigen, römischen Triumphbogen umrahmt. Während der Plan von Gyula Rochlitz - unter dem Aspekt des Grundrisses betrachtet - den Bahnhöfen der StEG ähnelt, erinnert er in seiner Fassadenform an den Berliner Lehrter Bahnhof. Da es erst 1881-1884 zum Bau kam, gab es für Veränderungen genügend Zeit. Die durchgeführten, verhältnismäßig geringen Änderungen waren zum Vorteil des Gebäudes: Seine Fassaden wurden leichter, eleganter, die Formen waren aber auch so immer noch massiver als jene der StEG. Im Gegensatz zur großen Anzahl architektonischer Ornamente ist es durch Großzügigkeit und gegenüber einer vielfarbigen Ziegelverkleidung durch eine verputzte Stirnseite charakterisiert. Obwohl geringer geschmückt, wurde auch hier der bildenden Kunst eine namhafte Rolle zugemessen. Die Hauptfront wurde in den drei Stockwerken mit Statuen dekoriert: unten vier, die Wirtschaftsbereiche personifizierende Figuren, in den Pylonen des Triumphbogens die stehenden Figuren von Watt und Stephenson, und zu oberst eine Statuengruppe, die die Geburt des Dampfes symbolisiert. An allen vier Wänden der Kassenhalle wurden allegorische Gemälde in Verbindung mit dem Thema Bahn der vorzüglichen zeitgenössischen Maler Károly Lotz und Mór Than angebracht. Die Seitenwände der Ankunftshalle wurden mit Sgraffiti dekoriert. Die Eisenkonstruktion, die den ebenfalls 42 Meter breiten Raum abdeckt, wurde von dem namhaftesten ungarischen Konstrukteur, János Feketeházy, entworfen. Dieses Gebäude ist von seiner Lage her ein stärker betontes Element des Stadtbildes, als das - von nur je einem Abschnitt der Ringstraße sichtbare - andere: Seine Fassade mit dem Triumphbogen dominiert die verkehrsreichste Straße der Stadt bereits aus großen Entfernung, als perfekte Verwirklichung der Vorstellung vom Bahnhof als modemes Stadttor.

Next

/
Thumbnails
Contents