Budapest und Wien. Technischer Fortschritt und urbaner Aufschwung im 19. Jahrhundert - Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs 9. - Beiträge zur Stadtgeschichte 7. (Budapest - Wien, 2003)
Eva Offenthaler: Der öffentliche Verkehr in Wien
126 elektrischen Betrieb umgestellt. An diesem Tag verkehrte der letzte Pferdewagen der einstigen WT. Die Periode der Elektrifizierung brachte der Straßenbahn einen beträchtlichen Zuwachs an Betriebslänge. Diese nahm zwischen 1890 und 1900 und zwischen 1900 und 1910 um je 56 % zu. Die Zahl der beförderten Personen stieg im Zeitraum 1890-1900 um 109 %, in den Jahren 1900-1910 um 141 %. Hatte bei den ersten Pferdestraßenbahnen Wiens die Erschließung der Wiener Umgebung als Ausflugsziel die entscheidende Rolle gespielt, so wurde das neue Verkehrsmittel mit der Zeit für weite Kreise der Bevölkerung unverzichtbar, und die Straßenbahn entwickelte sich schließlich zum wichtigsten innerstädtischen Verkehrsmittel. Um 1890 bewältigten die Straßenbahnen drei Viertel des Nahverkehrsaufkommens. Etwa um diese Zeit setzte der Wandel vom Freizeit- zum Berufsverkehrsmittel ein. In einer Abhandlung aus dem Jahr 1894 heißt es: Als im Jahre 1865 der erste Tramwaywagen vom Schottenring nach Hernals in Betrieb gesetzt wurde, glaubte Niemand daran, daß dieser — nach dem Ausspruche des verstorbenen Herrn Bürgermeisters Dr. Zelinka - Rumpelkasten sich in Wien derart einbürgern wird, daß er zum Bedürfniß des täglichen Verkehres wird.' Doch war die Straßenbahn nicht nur Bedürfnis, sondern immer wieder auch Anlass zum Ärgernis. Über Jahrzehnte hinweg stellte etwa die Überfüllung der Tramways ein Problem dar, ein behördlich erlassenes „Überfüllungsverbot“ wurde nur im elektrischen Betrieb streng gehandhabt. Beschwerden gab es wegen der langen Intervalle, der geringen Geschwindigkeit und der hohen Tarife. Die nach ausschließlich gewinnorientierten Prinzipien geführte WT war nicht in der Lage, den Bedarf abzudecken, sie investierte nur zögernd und beschäftigte überdies das Straßenbahnpersonal zu unzumutbaren Arbeitsbedingungen (19-Stunden-Arbeitstag der Schaffner und Kutscher; das Personal war für alle Schäden an Wagen, Pferden und Anlagen verantwortlich, wegen geringfügiger Verfehlungen mussten Straftouren an freien Tagen gefahren werden). Mehrmals kam es zu Streiks, die den Betrieb völlig zum Erliegen brachten. Eine Änderung in der Verkehrspolitik bahnte sich mit dem Übergang von der liberalen zur christlichsozialen Ära an. Bürgermeister Karl Lueger kündigte in seiner Antrittsrede im April 1897 die Lösung der Tramwayfrage an, ohne diese jedoch näher auszuführen. Die von der christlichsozialen Gemeinderatsfraktion schon seit längerem angestrebte Kommunalisierung der Straßenbahn erfolgte schließlich in zwei Etappen. Die Firma Siemens & Halske bot der Gemeinde an, die WTG (deren Aktienmehrheit sie erworben hatte) zu liquidieren, falls die Gemeinde mit einer neuen, von der Firma zu bildenden Gesellschaft einen Vertrag über den Umbau des Straßenbahnnetzes auf elektrischen Betrieb und die Errichtung von Ergänzungslinien abschlösse. Ein entsprechender 1 1 A.G. Pastorelli, Ein Beitrag zur Lösung der Tramwayfrage, 3f.