Budapest und Wien. Technischer Fortschritt und urbaner Aufschwung im 19. Jahrhundert - Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs 9. - Beiträge zur Stadtgeschichte 7. (Budapest - Wien, 2003)

Eva Offenthaler: Der öffentliche Verkehr in Wien

123 Gesellschafts-, Zeisel- und Steirerwagen, Tilhurys, Caleschen, Kutschen, Coupés, Landaus, Berlinen, Diligencen, Einspänner, Zweispänner, Postchaisen mit vier Pferden, sechsspännige Hofequipagen - dies Alles fährt Tag und Nacht ineinander, untereinander, durcheinander, nebeneinander, aneinander und auseinander, bricht Achsen, Räder und Stangen, bleibt stecken, überfährt Menschen und Thiere, wirft um, und verursacht hundert Unfälle in unserer sehr belebten Hauptstadt, welche schon der berühmte Aeneas Sylvius das Frauenparadies genannt hat, welche mit gutem Rechte aber ihren anderen Namen „Pferdehölle“ verdient, und auch ganz füglich „Fußgängerhölle“ heißen könnte. Das einzige Verkehrsmittel, das der breiten Masse der Bevölkerung zur Verfügung stand, war vor Einführung der Pferdestraßenbahn der Stell wagen bzw. der etwas vornehmere Gesellschaftswagen. Er wurde von Personen jedes Standes benutzt. Stellwagen fuhren in großer Anzahl in die Umgebung Wiens. Um 1846 standen allein für die Fahrt nach Hietzing acht Unternehmer mit 100 Wagen bereit. Es gab fixe Routen und Haltestellen sowie gedruckte Verzeichnisse über Standort und Fahrzeit. Im Grunde stellten sie eine Verbesserung der alten Zeiselwägen dar (wegen ihres meist gelben Anstrichs spöttisch auch „Lemoniekraxen“ genannt), die vor den Linien Wiens aufgestellt waren. Von mehreren Stellwagen kann man mit Nestroy sagen, daß sie ihren Namen erhielten, weil man mit ihnen nicht von der Stelle kommt, lässt Reális seine Leser ferner wissen. Aus dem Stellwagen entwickelte sich der Pferdeomnibus, der ab 1842 nachgewiesen werden kann. Pferdeomnibusse wurden von den wichtigsten Plätzen der Stadt zu den Kopfbahnhöfen der Eisenbahngesellschaften geführt, die Fahrpläne wurden in den Zeitungen angekündigt. Auch nach Einführung der Straßenbahn blieben Pferdeomnibusse im Einsatz. 1884 gab es in Wien bereits mehr als 60 Pferdeomnibuslinien. Die Pferdetramway Mit der ab 1858 eingeleiteten Stadterweiterung wurde eine Umgestaltung der Verkehrsverhältnisse nötig. Ein wesentlicher Schritt war die Eröffnung der Ringstraße am 1. Mai 1865. Es begann ein reger Verkehr zwischen Stadtkern und Vorstädten und Vororten sowie beliebten Ausflugszielen in der Umgebung Wiens. Der Entwicklungsschritt hin zum ersten Massenverkehrsmittel erfolgte durch die Einführung der Pferdebahn. Als ein erster Vorläufer der Straßenbahn kann die Brigittenauer Eisenbahn angesehen werden, die in den Jahren 1840-1842 zwischen Augarten und der Vergnügungsstätte „Colosseum“ verkehrte, jedoch nur „Volksbelustigungscharakter“ (H. Marincig) hatte. Sie war das erste schienengebundene Verkehrsmittel Wiens. Bei dieser 1,5 km langen, auf Holzschienen laufenden Bahn war das Pferd so zwischen zwei Wagen eingespannt, dass es den einen zog und den anderen schob.

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