Architektur zwischen Kunst und Bürokratie - 125 Jahre Ringstraße
1. Andreas Cornaro, Die Wiener Stadterweiterung. Ein geschichtlicher Überblick
ANDREAS CORNARO 1. DIE WIENER STADTERWEITERUNG GESCHICHTLICHER ÜBERBLICK Die Anlage der Ringstraße und der Bauten in ihrem Bereich war das große städtebauliche Ereignis Wiens in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, obwohl es im Verhältnis zu dem Hinauslangen des städtischen Weichbildes in die Vororte und über die Donau nur eine relativ kleine Fläche betraf. Trotz aller stilistischen und sonstigen Differenzen unter den beteiligten Künstlern schuf es ein künstlerisches Ensemble, das charakteristisch für die danach als Ringstraßenzeit bezeichnete Epoche und vorbildhaft für die Bauten in allen Teilen der Monarchie war. Nur aus den historischen Voraussetzungen und Anfängen des Unternehmens ist zu verstehen, daß sich diese sogenannte „Stadterweiterung“ um eine Straße konzentrierte, die genaugenommen nirgends hinführt, und daß weiters die Durchführung auch in der Zeit des Liberalismus immer unter der alleinigen Leitung der staatlichen Bürokratie blieb, wodurch die einheitliche Gestaltung in einer Epoche großer Bauherrenwillkür immer gesichert war. Der als Ergebnis der Erweiterung Wiens aus dem römischen Stadtkern unter den Babenbergern zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstandene Mauerring hat den Umfang der Stadt für die nächsten sieben Jahrhunderte bestimmt. 1529 konnte diese mittelalterliche Mauer nur mit Mühe dem Angriff Solimans standhalten, weshalb es bei der anhaltenden Türkengefahr nötig war, sie in eine moderne bastionierte Befestigung umzubauen. Da sich die Stadt nach anfänglichen Versuchen zu dieser Aufgabe außerstande erklärte, mußte sie vom Kaiser aus den Steuern seiner Erblande und Beiträgen des Reiches durchgeführt werden. Sie war erst 1672 endgültig abgeschlossen. Die Stadt war nun ganz umgeben von einer gemauerten Kurtine mit Basteien, ergänzt durch ein System von Gräben und Erdwerken. Vor diesem Befestigungssystem lag das Glacis, eine der Reichweite der damaligen Geschütze entsprechende offene Schußfläche. Wien war damit damals zu einer modernen starken Festung geworden, die 1683 in der zweiten Türkenbelagerung ihre Feuerprobe bestand, aber das komplizierte Befestigungssystem fixierte den Umfang der Stadt viel mehr als einst die leicht zu erweiternden mittelalterlichen Stadtmauern. Dagegen entstanden nach 1683 alsbald die bei der Türkenbelagerung zerstörten Vorstädte am Rand des unverbaut bleibenden Glacis von neuem und wuchsen den Radialstraßen entlang nach außen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurden sie zum Schutz vor den Kuruzzenstreifscharen Rákóczis mit dem Linienwall umgeben. Während des 18. Jahrhunderts fand der Bevölkerungszuwachs der Metropole meistens seinen Platz in den noch freien Räumen der Vorstädte, denn in der engverbauten inneren Stadt konnte damals zusätzlicher Wohnraum - abgesehen von den Verbauungen der Klostergärten unter Joseph II. - nur durch Aufstockung oder durch Basteihäuser geschaffen werden. Aus ursprünglich behelfsmäßigen, im Falle einer feindlichen Bedrohung 9