Österreich und das Heilige Römische Reich
INHALTSVERZEICHNIS - Leopold Auer: Österreich und das Heilige Römische Reich. Gedanken zur Ausstellung
will“ (1684) immer häufiger und mit der Errichtung des Kaisertums 1804 auch offiziell als Österreich bezeichnet wurde. Das Verhältnis zwischen diesen beiden zeitweise ganz unterschiedlichen Reichsgebilden und den ihnen zugrunde liegenden Konzeptionen, das im Verhältnis zwischen deutscher und österreichischer Geschichte eine gewisse Entsprechung findet, war über Jahrhunderte hinweg ein komplexes und ambivalentes. Einerseits entwickelte sich schon früh das Bewusstsein einer auserwählten Stellung innerhalb des Reiches, wie es unter Rudolf dem Stifter in der Bezeichnung Herz und Schild des Reiches und später in der Türkenabwehr zum Ausdruck kommt; andererseits lässt sich ebenfalls schon ab dem späten Mittelalter das Entstehen einer gewissen Distanz beobachten, die zu Ausnahmen im Verhältnis zu Reichsinstitutionen führen konnte. Die Doppelfunktion der Habsburger als Reichsoberhaupt und Herrscher der Habsburgermonarchie führte immer wieder zu „Parallelaktionen“ (z. B. österreichische neben kaiserlichen Gesandten wie in Münster und Osnabrück, doppelte Vertragsabschlüsse mit dem Reich und der Monarchie wie z. B. Rastatt/ Baden) aber auch zu Konflikten zwischen Reichs- und österreichischen Institutionen oder zwischen Reichs- und österreichischer Politik (z. B. in der Behandlung der italienischen Reichslehen, bei der San Remo-Frage, beim Reichshofratsprozeß gegen Friedrich den Großen etc.). Die Ideologie von der auserwählten Stellung des Erzhauses, die letztlich auf Rudolf den Stifter (aufgegriffen von Friedrich III.) zurückgeht, wurde aus einer Haltung gegen das Reich entwickelt, erhielt ihre reale Basis aber erst durch das Kaisertum der Habsburger, das im Bewusstsein späterer Zeiten mit dem anschließenden österreichischen Kaisertum zu einer Einheit verschmolz (so wenn etwa Maria Theresia im Gedächtnis volkstümlicher Überlieferung als österreichische Kaiserin erscheint). Mit der Auflösung des Reiches wurde, um mit der österreichischen Historikerin Brigitte Mazohl-Wallnig in ihrem aus Anlass des Reichsendes veröffentlichten Buch zu sprechen, „in Österreich eine politische Tradition hinterlassen, welche dem Siegeszug des Nationalstaats bis zuletzt das Modell einer multinationalen Ordnung gegenüberstellte“. Ähnliches gilt für die Traditionen der Geschichtswissenschaft. Die österreichische Geschichtswissenschaft konnte nicht wie die deutsche nach der Reichsgründung von Versailles die Reichsgeschichte als Vorgeschichte eigener nationaler Staatlichkeit verstehen. Vielmehr suchte sie die übernationale Tradition des Reiches mit der übernationalen Struktur der Habsburgermonarchie in Einklang zu bringen, und entwickelte daher ein besonderes Verständnis für die Spätzeit des Reiches, das von Fritz Fellner als Kennzeichen der österreichischen Geschichtswissenschaft vor und nach dem Ersten Weltkrieg im Verhältnis zum Reichsproblem angesehen wird. Das Jahr 1945 hat diese Tradition vorerst unterbrochen, weil die Beschäftigung mit dem Reich durch die nationalsozialistische Reichsideologie diskreditiert war. Gerade der Rückgriff auf 4