Szilágyi András (szerk.): Ars Decorativa 25. (Budapest, 2007)

Balázs SEMSEY: Ein Sekretär vom Beginn des 19. Jahrhunderts mit der Darstellung von Antonio Canovas Wiener Maria-Christinen-Denkmal

die Person von Maria Christina hinwei­senden Motive in Betracht, ferner daß auch die heraldischen Motive der Schilde neben dem geflügelten Genius wenig charaktervoll erscheinen, kommt man zum Schluß, daß die persönlichen Bezüge des Denkmals für den Meister des Möbelstücks - sofern sie ihm überhaupt bewußt waren - weniger Bedeutung hatten. Das ikonographische Programm des Denkmals läßt sich, herausgerissen aus dem ursprünglichen Kontext und im Zusammen­hang mit den weiteren antikisierenden Darstellungen am Sekretär (Merkur, Bacchus, antike Bildnisse, tanzende Frauen­figuren, Vasen, Girlanden) schwerlich inter­pretieren. Dadurch, daß sich die Pyramide, die die Komposition zusammenfaßt, und der dunkle Grabeingang in ihrer Mauer fast völlig im Hintergrund auflösen, werden die Figuren des Trauerzuges auch aus dem Rahmen der Narrative herausgerissen. Mangels eines kohärenten Inhaltes geraten Form und Stil in den Vordergrund, wenn man unter letzterem das allgemeine Bestreben versteht, das die Ideale der eige­nen Zeit unter Verwendung von Elementen der antiken Kunst zum Ausdruck zu bringen suchte. Die Figuren von Canova erscheinen hier in zwei Dimensionen und nach mehrfacher Übertragung als „Darstellung der Darstellung“, inmitten von Motiven, die entweder aus der Antike stammen oder von ihr inspiriert wurden, gleichrangig mit diesen, aber infolge ihrer künstlerischen Qualität und ihrer allgemeinen Bekanntheit an zentraler Stelle. Das Wiener Denkmal, das eine vorhandene Vorlage herauf- beschwörte und in Gesellschaft von antiken Denkmälern dargestellt wurde, hatte in der Reihe der Dekorationsmotive die gleiche Rolle wie die originalen antiken Dar­stellungen. Mit der Zeit wurden auch die Skulpturen Canovas vom selben Schicksal ereilt wie die Werke der häufig anonymen antiken Meister, von denen er sich anregen ließ: Sie sind selbst zu antiken Motiven geworden. Durch ihre ägyptischen und antiken Re­miniszenzen eignete sich die Komposition des Christinen-Denkmals dazu, für das Empire, das in seinen Äußerlichkeiten derar­tige Vorbilder befolgte, zum emblematischen Werk zu werden, das seine eigenen Stilbestre­bungen zusammenfaßte und den Pomp und den Reichtum des einstigen römischen Reichs auf eine würdige Weise heraufbeschwörte, obwohl Canova weder die Dekorativität noch den Dienst der Machtrepräsentation als vordergründiges Ziel betrachtete. Die allmäh­liche Umgestaltung der allgemein beliebten Motive, ihre Trivialisierung, ist ein langer, schwer erfaßbarer Prozeß, im Laufe dessen der ursprüngliche Inhalt der Darstellung ver­loren geht und auch die Form immer mehr provinziell wird. Den hier behandelten Schriebschrank, der durch Entstehungsort und -zeit dem Originaldenkmal viel näher steht als seine zahlreichen späteren Dar­stellungen und daher wohl über die Ver­zierungsfunktion hinaus auch etwas vom originalen Inhalt des Werkes vermittelt, darf man als eine Zwischenstation dieses Prozesses betrachten. 75

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