Szilágyi András (szerk.): Ars Decorativa 19. (Budapest, 2000)
András SZILÁGYI: Aus dem Hradschin in Prag in die Burg von Forchtenstein. Über die Herkunft eines hervorragenden Prunkstückes der Esterházy-Sammlung
licherseits stammende Mitgift restlos ihr zukommen gelassen worden war. Das Dokument zählt mehrere Gegenstände — darunter eine Menge wahrer Kunstkammerstücke — auf, unter welchen das folgende Item vorkommt: ,^4z eöregh Tengeri-Chiga Pohár, kit az csehországi királyné küldött volt Asszony-Anyámnak'' (Ein grosser [wohl auch: altmodischer] Pokal mit einem Seemuschel. Es wurde von der Königin von Böhmen für meine Frau Mutter zugesandt). Das auf 1639 datierte Dokument wird im Ungarischen Landesarchiv (Magyar Országos Levéltár, Budapest, im weiteren: MOL) aufbewahrt. Sign.: P 108. Rep. 29. Fase. C. Nr. 54. — Erzsébet Thurzó war bekanntlich die jüngere, zweite Tochter von Imre Thurzó und Krisztina Nyáry. Nach ihrem frühen plötzlichen Tod, am 14 Juli 1642, ein Inventar von ihrem Nachlass wurde zusammengstellt. Ein Detail dieser Schriftsquelle lautet, wie folgt: „Egi Tengeri Chiga, igen mesterségessen chinait Pohár, fellől valami Nympha képe, az bal kezén valami fejér kigió" (Ein sehr künstlich gearbeiteter Pokal mit einem Seemuschel, bekrönt von der Figur einer Nymphe, mit einer weissen Schlange um ihren linken Arm). Aufbewahrungsort dieses Verzeichnisses: MOL. Sign.: P 108. Rep. 12. Fase. Q. Nr. 635. Später wurde dieser Nachlass nochmals verzeichnet und endlich von Orsolya Esterházy (1641-1681) geerbt, da sie die Tochter von István Esterházy (1616-1641) und Erzsébet Thurzó war. Durch die Eheschliessung von Orsolya mit Pál Esterházy (1635-1713), dem künftigen Reichsfürst und Palatin von Ungarn wurde das Eigentumsrecht dieses Prunkstückes ebenso wie zahlreicher anderer wertvollen Kunstwerke — endgültig auf den sogenannten Forchtensteiner, d.h. fürstlichen Zweig der Familie Esterházy übergegangen. 10 Summarische Zusammenfassung der diesbezüglichen Angaben von András Szilágyi: Goldschmiedearbeiten der Esterházy Schatzkammer. In: Von Bildern und anderen Schätzen. Die Sammlungen der Fürsten Esterházy. Hrg.: Gerda Mraz - Géza Galavics. Wien 1999. S. 17-19. Den Deckel dieses häufig publizierten Prunkpokals (H. 67 cm) verziert eine meisterhaft komponierte vollplastische Frauenfigur, die sich als eine Allegorie der guten Regierung interpretieren lässt. Kunstgewerbemuseum, Budapest. Inv. Nr.: E 63.11. Lit.: Renaissance Katalog, Budapest 1988. Nr. 321 (mit früherer Literatur) — Die Fürsten Esterházy. Magnaten, Diplomaten und Mäzene. Katalog der Ausstellung veranstaltet im Schloss Esterházy, Eisenstadt. Red.: Jakob Perschy, unter Mitwirkung von Harald Prickler. Eisenstadt 1995. Kat. Nr.: V1I/3. S. 280. - András Szilágyi: Die Esterházy-Schatzkammer. Frankfurt-Berlin 1999. S. 55-56, 87-90, 104-106. In betreff der Herkunft und der Vorgeschichte dieser meisterhaft gestalteten Goldschmiedearbeit stellten wir in den erwähnten Publikationen eine Hypothese auf. Wir hielten für wahrscheinlich, dass dieser Pokal mit jenem Prachtstück identisch ist, das als Ehrengeschenk des Nürnberger Magistrats am 6. Mai 1612 von den Ratsherren Georg Volckamer und Endres Imhof für Erzherzog Matthias, dem damaligen König von Ungarn und Böhmen und dem künftigen Kaiser des Deutschen-Römischen Reiches überreicht wurde. Diese Möglichkeit ist aber wohl auszuschliessen, da gewisse, aus 1613, 1616 und 1619 stammende, im Nürnberger Staatsarchiv aufbewahrte und bis jetzt unveröffentlichte Angaben ihr eindeutig widersprechen. (Freundliche Mitteilung von Dr. Ursula Timann, Nürnberg, in ihrem Brief von 1. September 2000.) Auf diese Weise kann der Prunkpokal unserer Sammlung offensichtlich als eine zeitgenössische und eigenhändige, d.h. von H. Petzolt geschaffene Variante — mit dem gleichen Ausmass und dem gleichen Gewicht — des erwähnten Ehrengeschenkes betrachtet werden. 12 Das Kunstkammerinventar Kaiser Rudolfs II. 1607 - 1611. Hrg.: Rotraut Bauer - Herbert Haupt. In: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien 72. (1976) S. 17 13 Thomas DaCosta Kaufmann: Remarks on the Collections of Rudolf II. The Kunstkammer as a Form of Representatio, In: The Art Journal 38. (1978) S. 22-28. - Eliska Fuéiková: The Collection of Rudolf II. at Prague: Cabinet of Curiosities or Scientific Museum? In: The Origins of Museums. The Cabinet of Curiosities in sixteenth and seventeenth century Europe. Hrg: Oliver Impey-Arthur MacGregor. Oxford 1985. S. 47-53. - Herbert Haupt: Bemerkungen zur Charakteristik von Schatz-, Silber- und Kunstkammer in der früheren Neuzeit am Beispiel der Habsburgischen Sammlungen. In: Silber und Gold. Augsburger Goldschmiedekunst für die Höfe Europas. Katalog der Ausstellung veranstaltet im Bayerischen Nationalmuseum. Hrg.: Reinhold Baumstark, Helmut Seling. München