Imre Jakabffy (szerk.): Ars Decorativa 1. (Budapest, 1973)

KISS, Ákos: Die Entwicklung der kunstgewerblichen Bewegungen und das Entstehen der Kunstgewerbemuseen

zentralisierten Kunstinstitutionen die Idee der Gründung eines Museums für dekorative Kunst in 1806 und 1814 unter Napoleon I, dann während der Restauration der Bourbonén in 1825, immer wieder auf; auch beschäftigte sich mit diesem Gedanken das Kultuswesen des Königs Louis Philippe. Alle diese Bestrebungen konnten jedoch erst in 1845, mit der Gründung der Société de l'Art Industriel zur Erfüllung gelangen. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts hielt der Vorrang der französischen industriellen Kunst weiter an; nach dem Empire beschenkt das Régime der Bourbonén die Welt mit den Formen des zweiten Rokoko. Die Restauration kehrte aus politischen Gründen zu dem Stil Louis XV zurück, welcher nicht nur als eine kunstindustrielle Praxis anzusehen ist. Auch solche grossen Geister wie Balzac, der tiefste Kenner des 18. Jahrhunderts, hat sich in die Formen jener Zeiten gern vertieft. Nach 1830 verbreitete sich die Mode des zweiten Rokoko in ganz Europa, sie fand sogar im gotizisierenden England ganz bedeutenden Widerhall. In den Habsburg-Ländern war man wiederum nur zu gern bereit die künstlerischen For­men der noch in guter Erinnerung stehenden Maria-Theresia-Zeiten zu übernehmen. 9 Die­se in unseren Tagen hoch geschätzte Periode hat man aber damals keineswegs als eine Art Erfüllung betrachtet; man war der allgemeinen Ansicht, dass für die Kunstindustrie die Zeit des Louis Philippe als eine der hoffnungslosesten zu betrachten sei. 10 Auf diese Weise erreichte die europäische Zierkunst die Mitte des 19. Jahrhunderts, als zur Erneuerung der damaligen Gewerbeformen — wiederum in England — Schritte von gros­ser Bedeutung unternommen wurden. Das seit dem 18. Jahrhundert immer stärker wer­dende Historische. Arm in Arm mit dem paradoxen Versiegen der bis dahin natürlich strömenden historischen Stilvorgänge, erwiesen es schon in den 50-er Jahren als offen­kundig, dass weitere Stilentwicklungen in der früheren Weise nicht mehr zu erhoffen seien. Das starke Gepräge der Zierkunst dieser Periode, mit seinen hohen Anspruchsprinzipien, im Gegenstand zu der zur gleichen Zeit als jämmerlich empfundenen Gegenwart (Spätes Klassizismus, Romantik, Zweites Rokoko) verursachten eine ziemlich hohe Spannung. An Stelle der bisherigen unbewussten, naiven Selbstsicherheit der periodischen Änderun­gen der Künste tritt jetzt eine Art pedant-historisches Bewusstsein. Zwischen dessen Merkmalen erscheinen unter anderen jene Erkenntnisse, dass nunmehr die Förderung der gewerblichen Künste zu den Aufgaben der Gesellschaft und des Staates gehöre. Die Wiener kunstindustrielle Ausstellung des Jahres 1845 entstand bereits unter dem Zeichen dieses Erkenntnisses. Die Reformperioden (Chartisten schon ab 1832), das Risorgimento, er­gaben den mehrseitigen Vordrang jener Bürgerschaft, die nach der politischen Machtüber­nahme des Lebens, nunmehr auch mit dem Anspruch auf die Inbesitznahme der Kultur und der Künste auftritt. Der Bürger des Biedermeier wurde soeben Grossbürger und sehn­te sich, an Stelle der Kirche und des Hochadels die Rolle der Geistesaristokratie, oder mindestens die des Mäzens zu spielen. Die Umstände der Verwirklichung der Londoner Weltausstellung von 1851, die Bemühun­gen der Briten die Vorherrschaft der Franzosen in den gewerblichen Künsten zu begren­zen, sind allgemein bekannt." Diese bedeutende Tätigkeit der Society of Arts zeitigte viel­erlei weitgehende Folgen. Sechs Millionen Besucher haben die Erzeugnisse von 14.000 Aus­steller der Kunstindustrie besichtigt, und die Lehren des Gesehenen weltweit verbreitet. G. Semper, der politische Verbannte von 1848 konnte gerade hier seine neuartigen Ansich­ten über die Zierkünste zum Ausdruck bringen. Die weitgehendsten Ergebnisse der Lon­doner Ausstellung waren die Erkenntnis einerseits der Notwendigkeit des Studiums der

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