Szende Katalin – Kücsán József szerk.: Isten áldja a tisztes ipart - Tanulmányok Domonkos Ottó tiszteletére. A Soproni Múzeum kiadványai 3. (Sopron, 1998)

Helmut Bräuer: Verarmungsprozesse im mitteleuropäischen Handwerk während der frühen Neuzeit

I. Mór Jókai (1825-1904) eröffnete seine Novelle „Melyiket a kilenc közül?" („Welches der neun?") (Weissling 1983, 7-14) mit der Feststellung: „In der großen Stadt Pest lebte einst ein armer Schuhmacher, der von seinem Handwerk nicht reich werden konnte". Der aufmerksame sozialkritische Autor erklärte dann, daß dies nicht in wirtschaftlichen oder administrativen Sachverhalten, sondern in des Schusters familiärer Situation begründet liege, denn der hätte neun Kinder zu ernähren, und mit der Geburt des letzten Kindes sei zugleich die Todesstunde der Frau des Handwerkers gekommen. Damit war eine schwierige soziale Situation eingetreten, die mit den Mitteln der kleinen gewerblichen Warenproduktion nicht korrigiert werden konnte. Es handelt sich hier um die konkrete Form der Wahrnehmung und künst­lerischen Verarbeitung einer von vielen Armuts- bzw. Verarmungsvarianten, wie sie in vorindustrieller Zeit fur diese Sphäre des Handwerks typisch gewesen sind und die infolgedessen keiner detaillierten Erläuterung bedurfte. Man verstand den Verfasser aus vielfach eigener Beobachtung oder Erfahrung: Eine große Kinderschar, der tragische Verlust der Ehefrau und das Schusterhandwerk als besonders schmale Existenzgrundlage schlössen gesicherte Lebensverhältnisse nahezu völlig aus, Notlagen dagegen ein. II. Der kurfürstlich-sächsische Kammerrat Johann Christian Raabe, ein Leipziger Kaufmann und Manufakturist, setzte sich um die Mitte des 18. Jahr­hunderts mit dem Erschlaffen der gewerblichen Produktion in der Region auseinander. Dazu verfaßte er eine spezielle Denkschrift. Besonders augenfällig, so meinte der Autor, seien die Niedergangserscheinungen in der Leineweberei, und er führte statistisches Material an, wonach im Jahre 1749 in den Städten Mittelsachsens 1229 Leineweber in Verlagsbeziehungen als „Meister ... vor sich arbeiten", während 439 Meister existierten, „so aus großer Armuth vor Gesellen arbeiten" und 180 Meister genannt wurden, „so theils vorarmeth, theils betteln". Außerdem war im vorausgegangenen Zehnjahrzeitraum die Anzahl der Gesellen von 1015 auf 596 gesunken (Bräuer 1990, 70). . Auch hier handelte es sich um ein charakteristisches soziales Bild, das in jenem Zeitraum nicht allein in der genannten Gewerbelandschaft Gültigkeit besaß (Kaufhold 1986, 111-202). Es war weitgehend verlagsgeprägt und ein Produkt der Kollisionen zwischen den traditionellen zünftigen Ansprüchen, den Nahrungsstand zu sichern, und den seit dem ausgehenden Mittelalter hervor­drängenden frühkapitalistischen Organisationsformen in bestimmten Bereichen der Produktion, deren soziale Konsequenzen beispielsweise bereits Hans Sachs in seinen Prosadialogen von 1524 mit Blick auf die Nürnberger Verhältnisse beschrieben hatte (Krause 1976, 99-130). 8

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