Ausstellungskatalog „Revolution 1848”
Róbert Hermann: Die Revolution zweier Hauptstädte - Wien und Pest
Ausstellung 3. März - 31. August 1998 L >v te. Die ungarische Politik hatte neben Preßburg auch ein zweites Zentrum, die Hauptstadt des Landes, Pest-Buda, oder wie sie damals schon von vielen genannt wurde: Budapest. Hier versammelte sich die Elite der adeligen und bürgerlichen Intelligenz, jene Dichter, Schriftsteller, Publizisten, Schauspieler und Maler, die die Ideale der bürgerlichen Umgestaltung mit ihrem Wirken manchmal mit größerer Effektivität als die Berufspolitiker formulierten. Eine bedeutende radikale Gruppe dieser jungen Intelligenz hielt ihre Zusammenkünfte im Café Pilvax. Em Teil von ihnen war ebenfalls Mitglied der vereinten Organisation der liberalen Opposition, des Oppositionskreises. Aus diesem Kreis ging auch József Irinyi hervor, der am 11. März 1848 jene kurzen, trommehvirbelartigen Punkte formulierte, die im Geiste von Kossuth’s Rede vom 3. März, zwar mit etwas unterschiedlicher Gewichtung, die konsequente Durchsetzung der bürgerlichen Umgestaltung forderten. Die Jungen von Pilvax wollten diese Zwölf Punkte samt den Unterschriften von mehreren tausend Pester Bürgern nach Preßburg bringen lassen und den Kampf der Reformopposition im Landtag auf diese Weise unterstützen. Nach Einlangen der Nachricht von der Revolution in Wien beschlossen die Jungen vom Pilvax, Sándor Petőfi, Pál Vasvári, János Vidats, Károly Sükey, Gyula Bulyovszky, János Vajda und Mór Jókai, den ersten der Zwölf Punkte, die Forderung nach Pressefreiheit schon am nächsten Tag geltend zu machen und die Zwölf Punkte und das begeisternde Gedicht Petöfis, das Nationallied, ohne Genehmigung vom Zensor drucken zu lassen. Die Revolution in Pest war - im Gegensatz zu denen in Paris und Wien - eme unblutige Revolution, sie wäre jedoch zu wenig gewesen, um die Umgestaltung durchzusetzen. Um die Ergebnisse zu einem System zu formen, war der Erfolg der nach Wien reisenden Landtagsdelegation erforderlich. Die über die Pester Revolution gekommenen Nachrichten spielten eme wichtige Rolle dabei, daß die ungarische Delegation in Wien die Ernennung von Lajos Batthyány zum Ministerpräsidenten bewirken konnte. Nach Rückkehr der Delegation m Preßburg wurden innerhalb einiger Wochen im Parlament jene Gesetze verabschiedet, die die bürgerliche Umgestaltung des Landes formulierten. Die Sanktionierung der Gesetzesartikel stieß jedoch auf ernsthafte Hindernisse. Die Delegation der ungarischen Gesetzebung konnte zum Teil durch ihre ausge© zeichnete Vorbereitung auf die Verhandlung, zum Teil durch die Massenbewegungen, die ihre Forderungen immer zum besten Zeitpunkt unterstützten, die andere Seite in den meisten wesentlichen Punkten zum Rückzug bewegen. Die Batthyány- Regierung trat ins Amt, und am 11. April sanktionierte der Monarch die verabschiedeten 31 Gesetzesartikel. Verfassungsrechtlich war der Gesetzesartikel III. am wichtigsten, nach dem der Monarch ”in allen bürgerlichen, kirchlichen, die Schatzkammer betreffenden, militärischen und im allgemeinen die Landesverteidigung angehenden Bereichen” die exekutive Macht ausschließlich durch das unabhängige ungarische verantwortliche Ministerium ausübte. Der Willkür des Monarchen setzte jene Bestimmung einen Schranken, die die Gültigkeit der Verfügungen des Monarchen an die Gegenzeichnung eines sich in Budapest aufhaltenden ungarischen Ministers anknüpfte. Den Bewegungsraum der ungarischen Regierung erhöhte bedeutend jener Paragraph, nach dem in Abwesenheit des Monarchen der Palatin als königlicher Statthalter über einen Großteil der Fragen entscheiden durfte, die m den Bereich der Entschlüsse des Herrschers gehörten. Die Gesetzesartikel IV. und V. verfügten über die jährliche Tagung des auf der Basis der Volksvertretung zu wählenden Landtages in Pest. Wichtig war jene Bestimmung, nach welcher der Monarch dieses Gremium erst nach dem Jahresabschluß des Vorjahres und nach Billigung des Budgets für das kommende Jahr auflösen konnte. Die Gesetzesartikel Vl-VII. verfügten über die Rückgliederung des Partiums* und die Union Ungarn-Siebenbürgen. Vom Gesichtspunkt der Aufhebung des feudalen Systems aus waren die Gesetzesartikel VIII., IX., XIII. und XV. über die allgemeine Steuerpflicht sowie die Abschaffung der Urbarialdienste, des pnesterhchen Zehents bzw. der Avitizität von entscheidender Bedeutung. Der Gesetzesartikel XVIII setzte - bis auf einige Einschränkungen politischen Charakters - die Anforderung der Pressefreiheit durch. Als wichtige Bestimmungen galten die Gesetzesartikel XX. und XXII. über die Gleichberechtigung der anerkannten Konfessionen bzw. über die inneren Ordnungskräfte, die Nationalgarde. Das durch Gesetze geschaffene System war zwar nicht vollkommen, ermöglichte jedoch, ein bürgerliches Ungarn zu schaffen. * Ein Teil von Ost-Ungarn (Komitat Kraszna, Közcp-Szolnok, Zarand) manchmal auch Bihar und Maramaros. Das in der frühem Neuzeit zu Siebenbürgen gehört hatte, und mit dem Gesetz-Artikel XXI: 1836 wieder Ungam eingegliedert wurde.