Buza Péter - Gadányi György: Kopf Hoch! - Unser Budapest (Budapest, 1998)

VI., Andrássy üt 124 Als Sándor Fellner, der bekannte Architekt des Historizis­mus, den Entwurf für das Sommerhaus zeichnete, war die Ehefrau von Gyula Bulyovszky, geborene Lilla Szilágyi, schon Witwe. Ihr Gatte, der berühmte Bühnenschriftsteller und Kritiker, eine der wichtigsten, doch schon längst ver­gessenen Gestalten der berühmt gewordenen Fester März­tage, war gerade in diesem Jahr gestorben. Die Schau­spielerin hatte sich auch schon fast ein Jahrzehnt vom Theater zurückgezogen. Die Tochter des „Pfeifers“ Fái Szi­lágyi, einer der ersten Komödianten, der eine ungarische Schauspielertruppe leitete, hatte eine fantastische Karriere gemacht. Begonnen hatte Lilla Szilágyi im Nationaltheater in Pest, dann spielte sie auf den Bühnen von Hamburg, Dresden, Weimar, Gotha, Riga und schließlich in Amster­dam. Aber sie schrieb auch und übersetzte zahlreiche Thea­terstücke. Ihre Feuilletons und Reisebeschreibungen er­schienen in den hauptstädtischen Zeitungen. Ihr Novel­lenband und ihre Memoiren lagen auf dem Nachttisch je­der Pester Dame. Dieses mit Türmen versehene Sommerhaus jenseits des Körönds ist ebenso ein prächtiges Gebäude wie auch die übrigen in der Gegend, ganz bis zum Stadtwäldchen. Sie alle wurden in den siebziger-achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erbaut oder waren noch im Bau; nach eini­gen Jahren erstrahlte die Villenzeile dann in vollem Glanz. Es war eines der vornehmsten Viertel von Pest, wenn nicht das vornehmste überhaupt. Lilla Szilágyi wohnte abwech­selnd hier und in ihrer Sommervilla in Gmund in Öster­reich, am Traunsee, in der Nähe von Salzburg. Am 29. Ja­nuar 1888 verübte der Hausmeister auf sie ein Revolverat­tentat; sie wurde schwer verletzt. Der Grund blieb unge­klärt, obwohl er sich vermuten ließ - sie war noch immer eine berühmte, schöne Frau. In ihrem in Eile verfaßten Testament wurde auch über das Schicksal des vieltürmi- gen Palastes bestimmt. Da Lilla Szilágyi jedoch wieder genas, geschah nichts so, wie es im Testament stand. Sie selbst verkaufte das Haus 1903 aus finanziellen Gründen an ihren Nachbarn, den Eisenwarengroßhändler Gottlieb Frankl. In jener Zeit, als aus fast jeder Villa der (Jmgebung der Geburts- und Gei­stesadel schon verschwunden war, verkündeten die Türme des einstigen Stolzes meist schon die Macht des dritten Standes. 8

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