Kocsis Irma: Kneipentour - Unser Budapest (Budapest, 1993)
An den Leser Mach der Niederschrift des über 600 Seiten langen Budape- ster Kneipentour-Tagebuches ist mir kein Fetzen Kraft mehr geblieben. Zu allem Überfluß hat der Verlag das Manuskript unter sich begraben und die Rolladen geschlossen, ganz wie die Kneipe Nagyszolnoki. Aus ihr wurde das chinesische Restaurant Kínai Negyed, Chinesenviertel. Geblieben ist in der Népszínház Straße lediglich ein Stück Andenken, der kleine Bruder, das Kisszolnoki, mit seinem dreieckigen Grundriß. Auch dieses Heft ist nur eine blasse Spur des Buches, eine Reduktion aufs Telegramm. Irma Kocsis uon Izsák Autor und Tischwein Düna Poharazó Weinstube Donau I. Fő utca 4. (- Schreib Bierkneipe - sagt Attila...) In weißer Aufschrift auf einem Karren das Wort DODI, Seppel. Im Torbogen zwischen dem Budaer Gericht und dem Malkreis Ferenczy steht ein schlanker Mann unbestimmten Alters. Er schaut mich an, greift langsam nach der kleinen Karre und schiebt sie ins Tor hinein. Durch das Fenster der Bierkneipe Duna, vollgestellt mit Kakteen und tropischen Liliengewächsen, sehe ich ihn. Hinter dem Tresen sind Attila, Ernő oder Laci. Gabika sitzt am Ecktisch herum. Auf einen Sprung kommt die alte Frau herein, die vor den Resten des ehemaligen Pressos Lánchíd (Kettenbrücke) Blumen verkauft. Von Zeit zu Zeit, in unberechenbaren Abständen, zieht in Gestalt eines Mannes in buntkariertem Sakko mit Hut die Stimmung europäischer Pferderennen ins Lokal. Nie sah ich einen stärkeren Kinderblick als den seinen, in dauernder, zuckender Bewegung. Im Blick auf mich wartet er schon auf Stimmen, auf bekannte Stimmen hinter ihm, dreht sich herum und umarmt die grauhaarigen, lieben Säufer. Ich wende mich ab, und schon ist er weit weg, auf der anderen Seite des Burgtunnels. Ich sehe ihm nach, wie er sich davonbewegt, ein ferner, bunter Fleck - um ein Gedicht zu zitieren - weit weg der ferne Fleck des Luftballonverkäufers. 5