Bodor Ferenc: Die Pressos der Stadt - Unser Budapest (Budapest, 1992)
Tavasz (Frühling) - clüb 21 Das Espresso Tavasz ist jüngst geschlossen worden. Es bewahrte lange Zeit hindurch die Ilkovics-Stimmung* der ausgehenden K. u. K.-Zeiten. Bereits der Anblick der schönen Buchstaben, der herrlichen Schrifttypen im Firmenschild verschafft Genuß. Der hohe Innenraum war wegen seines Stückwerks, wegen seiner dunkelroten Farben die letzte Art-Deco-Hoch- burg der Stadt. Vom Kino nebenan sind leise Kraftgeräusche von Schwarzeneggers angespannter Muskulatur zu hören. Vor der Bar machten sich in ihren schwarzen Strümpfen die Käfer der Nacht, die mit ihrer Anwesenheit die Stimmung der Bahnhofsgegend erst vollendeten, flugbereit. Die teilweise unter neuem Namen wiedereröffnete Presso-Bierstube-Bar ist die einzig wirklich moderne Einrichtung dieser Art in der Stadt. Kalte, graue Farben, das Glimmen von Neonröhren, mit Gelb vitalisierte Metallarmatur, kunstvoll ausgestalteter Innenraum, ünten, in der Tiefe, kann man ausländische Biersorten trinken, die hübsch teuer sind. Oben gibt es jedoch ein kleines Café. Das Bedürfnis nach dem gastronomischen Gürtel um den Westbahnhof herum ist berechtigt, denn wo sind die alten Gaststätte der Reisenden geblieben: das Tejvendég- lő (»Milchrestaurant"), das Sabaria, das llkovics, die Konditorei Westend-Haus? Und wo das Bahnhofshotel, das Lloyd und das Westend, um von dem sehr früh abgerissenen London ganz zu schweigen? VI., TERÉZ KÖRÚT 62. Tavasz * llkovics war in den dreißiger Jahren eine bekannte Gastronomensippe wie die später weltweit berühmt gewordene Familie Gundel. 29