Szegő Dóra - Szegő György: Synagogen - Unser Budapest (Budapest, 2004)

Bei der jüdischen sakralen Architektur sprechen wir von zweierlei Raum. Der eine ist der weltliche, irdiiche sakrale Versammlungsort - die Synagoge der an­dere der salomonische Tempel, bzw. - nach dessen Zerstörung - der ideelle Raum des himmlischen Tempels. Dieser Band stellt die Synagogen Budapests vor. Irdische Bauten, welche das zerstörerische 20. Jahrhundert in Budapest eher verschonte als anderswo in Europa. Hier gab es keine Kristallnacht, die Synagogen wurden nicht angezündet, ln Ungarn war die Toleranz gegenüber den Juden schon seit der Zeit des Heiligen Königs Stephan größer als in den übrigen Ländern der europäischen christlichen Kultur. Diese Duldung ermöglichte den Bau mehrerer bedeutender Synagogen. Seit der Zeit der Aufklärung war das ungarische Judentum eine der Trieb­kräfte der Modernisierung, seine Synagogen wurden oft zu Schlüsselbauten einer sich erneuernden Architektur. Sie sind also nicht nur als Zeugen der Zeit­geschichte, sondern auch ihrer architektonischen Eigenschaften wegen erwäh­nenswert. Seit dem Holocaust zeigt sich dieser auf den Bau beschränkte Bewer­tungsstand nur teilweise wirksam: mehrere Synagogen wurden abgetragen, ver­fielen oder wurden unwürdig umfunktioniert. Unter dem Sozialismus nahm die Zahl der ihren Glauben ausübenden Juden weiter ab, es wurde ihnen immer schwerer ihre Synagogen instand zu halten. Die jüdische Tradition aber verlangt nicht die Ehrerbietung vor dem Synagogengebäude, sondern vor der Thora. Die Synagogen-Architektur der in der Emanzipation meist führenden ungari­schen und deutschen Budapester Juden weist in der Zeit nach der Aufklärung mehr oder weniger Analogien zur christlichen Architektur auf, welche sich im Laufe ihrer ganzen Geschichte auf den Salomonischen Tempel bezieht. Das eman­zipierte, sich assimilierende Judentum des 19.-20. Jahrhunderts hingegen näherte sich in seinen Synagogen eben zur Zeit der zunehmenden mitteleuropäischen Urbanisierung der Architektur und liturgischen Praxis der christlichen Kirchen. An der Ostwand finden wir den Thoraschrein, in dem die Thorarollen aufbe­wahrt werden, der dem christlichen Altar entspricht. Die Funktion des Bimah oder Almemor, welches sich je nach Gemeinde oder Epoche zwischen der Mitte und der südlichen Empore befindet, gleicht derjenigen der christlichen Kanzel, die auch verschieden geortet ist. Zum Ort, dem Spiritus loci einer Synagoge, gehört auch die Geschichte der einstigen Gemeinde, woher sie zur Zeit des Baus, Umbaus oder der Vergrößerung des Gebäudes kamen und wohin sie unterwegs waren. Deshalb darf neben der Geschichte eines Gebäudes auch diejenige des Stadtviertels nicht vergessen werden. Des traditionellen figuralen Bilderverbotes wegen gibt es in den Syna­gogen sehr selten Kunstwerke individuellen Charakters - die dekorative und 5

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