Ferkai András: Wohnsiedlungen - Unser Budapest (Budapest, 2005)
Wohnsiedlung...ein ominöses Wort. Zehnstöckige Plattenbauten fallen einem ein, dazwischen verdorrtes Gras im Niemandsland. Ein Warenhaus mit Aluminiumwänden, Autowüste, Kletter-Rakete und Erdkugel am Spielplatz. Ein Wirbelwind fegt Staub und Müll zwischen den Gebäudekolossen umher. Der Massenwohnungs- bau der späten Kádár-Zeit hat diesen Begriff sosehr in Misskredit gebracht, daß heute die neuerrichteten Wohnsiedlungen „Wohnpark" genannt weden. Dabei hatte das Wort Wohnsiedlung nicht immer einen solch negativen Unterton. Denken wir nur an die Siedlung der Richter und Anwälte am Kleinen Schwabenberg, oder an die Wekerle-Siedlung! Als ich die Wohnsiedlungen der Hauptstadt zum Thema dieses Bandes wählte, wollte ich eben diese Vorurteile damit abbauen. Weil nicht nur die Plattenbauten in den Stadtvierteln Újpalota, Békásmegyer und Gazdagrét unter Wohnsiedlung verstanden werden sollen. Es gab schon immer zahlreiche andere Formen des siedlungsartigen Baus. Zu ihrer Zeit dienten die Siedlungen ihrem Zweck recht gut, viele von ihnen existieren auch heute noch. Ihre Bewohner wohnen meist gerne dort. Klären wir zuerst einmal, was wir eigentlich unter einer Wohnsiedlung verstehen! Das Verbum iiedeln bedeutet: ein unbewohntes Gebiet bevölkern, Besitzlosen Boden zusprechen. Sinnverwandt mit der Siedlung ist die Kolonie, welche nicht nur ein kolonisiertes Land bedeutet, sondern auch eine in fremder Umgebung entstandene Siedlung, eine von einem Großbetrieb ins Leben gerufene und unterhaltene Siedlung. Letztere nannte man meist „Arbeiterkolonie". Das Wort „Siedlung" enthält also auch den Begriff der Separation, bedeutet solch einen Siedlungs-Teil, welcher sich von dem durch längere Zeit entstandenen, spontanen Gewebe einer Stadt (oder eines Dorfes) absondert. Es ist ein Ensemble, welches im Laufe einer einzigen Bauaktion in verhältnismäßig kurzer Zeit entsteht, meist für eine bestimmte gesellschaftliche Schicht oder Bevölkerungsgruppe und in seiner Bebauungsart, seiner Architektur eine gewisse Einheit anstrebt. Wohnsiedlung können auch die aus einigen Familienhäusern bestehenden Ensembles genannt werden, wenn sie zur selben Zeit und einheitlich gebaut wurden. Wohnsiedlungen sind auch die neue Haus- und Wohnungstypen vorstehenden Mustersiedlungen, wie z. B. die mit Mitwirkung berühmter Architekten vom Werkbund in den zwanziger Jahren in Stuttgart, Breslau, Wien, Zürich und Prag gebauten Siedlungen, oder die Kleinwohnungs-Siedlung bei uns in Buda in der Napraforgó utca. Hierher gehören auch die zu sozialen Zwecken errichteten kleineren und größeren Wohnensembles (von der durch die Familie Fugger im Augsburg des 16. Jahrhunderts gebauten „Fuggerei" über die Industriedörfer der englischen paternalistischen Industriellen bis zum deutschen und holländischen Siedlungsbau der 1920er Jahre), die Gemeinde- und staatlichen Wohnsiedlungen, schließlich die durch die Selbsthilfeaktionen der Arbeiter, bzw. Mittelschichten ins Leben gerufenen Siedlungen. Je nachdem, für wen sie gebaut wurden, sprechen 5