Tóth Vilmos: Grabmalkunst - Unser Budapest (Budapest, 2006)

in Budapest erlebte die Grabmalkunst, vor allem aber die Friedhofsplastik ihre Blüte in den letzten Jahrzehnten des 19. und den ersten des 20. Jahr­hunderts. Es war die letzte Periode, bevor dieser klassische Kunstzweig in ganz Europa, als Folge der uferlosen Modernisierung zerfiel. Die Friedhofs­kunst ist eine sakrale Kunst: Sie ist, wie die mit ihr eng verwandte Kirchen­kunst, mit dem Transzendenten, der Vorstellung von der Existenz nach dem Tode und vom Jenseits verbunden. Diese wurden von dem im 19. Jahrhun­dert aufkommenden Materialismus in den Hintergrund gedrängt, wobei nicht nur die christlichen, sondern auch die jüdischen und die antiken Traditionen aufgegeben wurden. Im 19. Jahrhundert gab die europäische Kultur allmählich den Totenkult auf. Der klassische Formenschatz und die Symbolik der Kunst­gattung lebten noch weiter, der Inhalt geriet jedoch immer mehr in Vergessen­heit; in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vefiel dann auch das formale Wissen. Freilich gibt es auch Ausnahmen, aber die traditionelle Bestattungs­kultur, die Kenntnis der klassischen Proportionen und Ikonographie gelten heute nicht mehr als Normen, an die man sich halten muß, sondern als über­flüssige Zeitverschwendung. Die Grabmalkunst in Budapest und in Ungarn überhaupt befinden sich in einer eigenartigen Situation-, die Formenkultur und das handwerkliche Können erreichten bisher ungesehene Höhen gerade als die inhaltliche Leere ihren Anfang nahm. Das handwerkliche Niveau der Budapester Grabmäler der Epoche des Dualismus war einzigartig, die Symbole und Motive erfüllten je­doch nicht mehr eine sakrale, sondern eine ästhetische Rolle. Nach dem ersten Weltkrieg entstanden wieder Grabmäler, welche den Wurzeln der Gattung näher standen und von der Säkularisierung unberührt waren; nun fehlte jedoch der wirtschaftliche Hintergrund, welcher zu einer Beibehaltung des früheren Niveaus notwendig war. Die Grabmalkunst ist eine im Verschwinden begriffene Kunstgattung, die Hauptrolle spielt heute die Herstellung von Grabsteinen. Eine große Zukunft kann auch dieser nicht vorausgesagt werden, da die Verbreitung radikal neuer Bestattungsformen - vor allem der Verstreuung der Asche — schon die Da­seinsberechtigung der Friedhöfe in Frage stellt, besonders in größeren Städten. Für den modernen Menschen ist alldas überflüssig, was nicht von der Gegen­wart handelt. Dessen ungeachtet gibt es heute noch zahlreiche Grabdenk­mäler, die es wert sind, kennengelernt zu werden, da sie von den klassischen Regeln der Kunstgattung zeugen, vom architektonischen und bildhaueri­schen Gesichtspunkt anspruchsvoll, typisch oder anderswie besonders sind. Machen wir uns nichts vor - alldies ist vom Standpunkt der heutigen Kunst 5

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