Internationales Kulturhistorisches Symposion Mogersdorf 2007 in Kőszeg 3. bis 6. Juli 2007 (Szombathely, 2014)

Tibor Hajdu: Alte und neue Eliten in Ungarn in der Zwischenkriegszeit

Tibor Hajdú (Budapest) ALTE UND NEUE ELITEN IN UNGARN IN DER ZWISCHENKRIEGSZEIT Zur Bestimmung der Eliten werden in der historischen und soziologischen Literatur verschiedene Definitionen und Zugänge verwendet.1 Wir dürfen die Existenzbe­rechtigung unterschiedlicher Auffassungen auch nicht in Frage stellen, denn die menschliche Gesellschaft ist ein zu kompliziertes Phänomen, um sie mittels einer monokausalen Darstellung zu beschreiben und zu analysieren. Ich für meinen Teil möchte mich auf alle Fälle darum bemühen, über die formalen statistischen Me­thoden hinauszugehen, mich also nicht damit zufriedengeben, die Zusammenset­zung der Elite eines Landes anhand von vorgegebenen Indikatoren zu schildern. Die individuelle Herkunft, die soziale oder materielle Situation eines Ministers, Abge­ordneten oder Generals charakterisieren nämlich noch nicht unbedingt, welche Machtfaktoren, Interessengruppen, Parteien oder gesellschaftliche Klassen er re­präsentiert, welche Kräfte sich hinter ihm verbergen und in wessen Diensten er steht. Betrachten wir ein konkretes Beispiel aus der von mir untersuchten ungari­schen Gesellschaft. Im 18. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun­derts deckte „Aristokratie” fast gänzlich den Begriff der „herrschenden Klasse” oder „herrschenden Elite” ab. In diesem Zeitalter gibt es auch keine so große Ab­weichung zwischen diesen beiden Begriffen, wie es später der Fall war. Die habs­burgtreue Großgrundbesitzer-Aristokratie war im Besitz des Großteils der führen­den Ämter, ja sogar des Großteils der führenden Positionen im Militär. Aus Aris­tokraten wurden Generale oder aus Generälen Aristokraten, insbesondere zur Zeit von Maria Theresia, aber auch später noch.2 Die Großgrundbesitzer-Aristokratie hatte enge Beziehungen zum hohen katholischen Klerus. Zwar gab es damals be­reits vermögende Bürger und reiche Städte, diese spielten innerhalb der politischen Führungselite aber kaum eine Rolle. Das System der politischen Repräsentation entsprach der Adelshierarchie. Nach der Revolution von 1848 und insbesondere nach dem Ausgleich des Jahres 1867 veränderte sich diese Konstellation allerdings grundlegend. Es ent­stand ein nationales liberales System in Ungarn, das sich den westeuropäischen Verhältnissen der Zeit annäherte und über ein den Erfordernissen der Zeit ent­sprechendes Wahlrecht verfügte. Darüber hinaus rückte die habsburgtreue Aris­tokratie und militärische Elite, auch wenn sie den Großteil ihres Vermögens und ihrer Macht behielt, zumindest für eine Generation in den Hintergrund des poli­tischen und gesellschaftlichen Lebens. In den Vordergrund gelangten nun Per­sonen, die hinsichtlich ihrer Abstammung und formellen Stellung anders waren, 5

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