Helga Embacher, Gertrude Enderle-Burcel, Hanns Haas, Charlotte Natmessnig (Hrsg.): Sonderband 5. Vom Zerfall der Grossreiche zur Europäischen Union – Integrationsmodelle im 20. Jahrhundert (2000)

Vorwort / Einleitung

Hanns Haas zierten. Jindra zeigt, daß die „Steyr-Werke“ sehr rasch auf den alternativen zivilen Fahrzeugbau umstiegen, wiewohl sie aber ab 1934 wieder partiell in die Waffen­produktion einstiegen. Anhand von Firmenpapieren wird nun auch der in den Grundzügen schon bekannte Umstieg der Krupp-Werke auf die Erzeugung ziviler Produkte unter Beibehaltung der militärtechnisch nutzbaren Kenntnisse und Fähig­keiten behandelt. Die ungelösten nationalen Fragen gelten zurecht als eine wesentliche Ursache des Zerfalls von Großreichen. In dieser Perspektive bildet die nationale Emanzipa­tion zugleich eine Facette der politischen Emanzipation der zur politischen Hand­lungsgemeinschaften integrierten Nationen von den übernationalen, in Wahrheit jedoch herrschenden Nationen der Deutschen, Russen, Ungarn, Serben, Tschechen und so fort. Die Tagung befaßte sich vornehmlich mit der kulturellen und sprach­politischen Facette des Nationalitätenkonflikts, den alle Autoren in den großen gesellschaftspolitischen Rahmen des Modemisierungsproblems einbetteten. Die Ausführungen laufen insofeme parallel, als sowohl Gero Fischer wie Joze Pirjevec in Übereinstimmung mit David F. Good die relative Rückständigkeit des zaristi­schen Rußland in bezug auf „Moderne“ und „Europäisierung“ betonen. Alle Auto­ren attestieren sodann dem frühen Sowjetsystem die wohlgemeinte Absicht einer sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Emanzipation der nichtrussischen Natio­nen, nicht ohne die politische Absicht zu unterstreichen, die nationalen Fragen gleichsam außer Streit zu stellen, um die soziale Revolution abzusichem. Sowjeti­sche Sprachenpolitik war so gesehen zugleich stets Gesellschafts- und Machtpolitik. In diesem Sinne konnte die Nationalitäten- und Sprachenpolitik zu den integrativen Kräfte des Sowjetsystems gezählt werden. Das Sowjetsystem blieb jedoch nicht durchgehend bei dieser Politik; die natio­nale Gleichstellung wurde immer wieder durch Tendenzen einer faktischen Bevor- rechtung des Russischen durchbrochen. Diese Kehrtwendung in Richtung Nationa­lismus hat wohl in erster Linie die autokratische Verfremdung der „messianischen Utopie“ des Sozialismus im Zeichen von Stalinismus und Einparteienherrschaft zu verantworten. Zusätzlich bewirkte die existentielle Bedrohung durch den deutschen Imperialismus im Zweiten Weltkrieg einen Schub an großrussischem Nationalis­mus. Die „russischen“ Tendenzen waren jedoch schlichtweg auch eine Folge der anfänglich gewünschten, dann jedoch in ihren Folgen unabsehbaren Emanzipation der nichtrussischen Nationen. Immer wieder schien eine wirklich plurinationale Gesellschaft die gesamtstaatlichen sowjetischen Interessen zu gefährden, daher die Förderung des Russischen, je nachdem in den Dreißigerjahren als „vaterländisch“ und in den Siebzigerjahren als „Sprache des Sozialismus“. Es ist schließlich nicht zu verkennen, daß die jüngste Phase der politischen Lockerung und Demokratisie­rung zu Beginn der Neunzigerjahre tatsächlich zum Zerfall des Staates führte. Wie im Falle der Habsburgermonarchie hinlänglich erforscht, so war also auch im sow­jetrussischen Beispiel zuletzt das Experiment Demokratie mit dem multinationalen Prinzip nicht vereinbar, weil es nicht gelang, die mehr oder weniger unter Zwang 6

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