Sonderband 4. Das Institutionserbe der Monarchie. Das Fortleben der gemeinsamen Vergangenheit in den Archiven (1998)

Imre Ress: Der Weg zum Badener Abkommen (Teilung oder Aufbewahrung des Archiverbes der Monarchie)

DER WEG ZUM BADENER ABKOMMEN (Teilung oder Aufbewahrung des Archiverbes der Monarchie) von Imre Ress Die revolutionären Nationalräte, die sich im Herbst 1918 in den verschiedenen Ländern der österreichisch-ungarischen Monarchie bildeten, kündigten nicht bloß die Lostrennung der einzelnen Nationen an. Nach der Proklamation der Unabhän­gigkeit haben alle neugegründeten Nationalstaaten sofort auch Besitzansprüche auf das Archiverbe der Monarchie erhoben und die Auslieferung von großen Archiv­teilen als den zu der Rekonstruktion der nationalen Vergangenheit unentbehr­lichen Kulturbesitz verlangt. In Folge der nationalstaatlichen Abgrenzung des mit­teleuropäischen Räumes ist die eigentumrechtliche Zugehörigkeit der ehemals ge­meinsamen Archive der Monarchie zum internationalen Problem geworden. In der Behandlung der Archive waren die einzelne nationale Bestrebungen ebenso­wenig maßvoll, wie es in den territorialen Fragen vorging. Im Bann der neuen Eigenstaatlichkeit wurden nämlich wissenschaftliche Grundprinzipien der Zeit kaum beachtet und man dachte den Zentralarchiven dasselbe Schiksal zu, wie es in der Monarchie der Habsburger geschah: also die totale Aufteilung des Archiver­bes nach nationalen und territorialen Kriterien'. Die Diskrepanz der übertriebenen politischen Zielsetzungen und der Anforde­rungen der Wissenschaft machte sich auch in den österreichischen-ungarischen Ar­chivsbeziehungen der Nachkriegszeit bemerklich, obwohl diese Spannungen nur selten zu den Extremitäten ausarteten. Nach dem Zerfall der Österreichisch-Unga­rischen Monarchie beanpruchte Ungarn das Miteigentumrecht an den ehemals ge­meinsamen Archiven. Die in Wien wirkenden ungarischen Archivare, wie Ärpäd Kärolyi, Gyula Szekfü und Ferenc Eckhart hielten es für Ungarn ratsam, möglichtst bescheidene Auslieferungswünsche zu stellen und die Internationalisierung des in Wien verbleibenden Archiverbes der Monarchie zu fördern. Einen Plan zum Auf­bau einer Internationalen Wissenschaftlichen Archivanstalt hat Kärolyi, der frühere Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs im Sommer 1919 ausgearbeitet. Mit der Gründung einer internationalen Archivanstalt beabsichtigte Kärolyi in dem Zeitpunkt, als die Friedensbedingungen noch nicht bekannt waren, die Zerreißung des organisch entstandenen Archiverbes der Habsburger-Monarchie vorzubeugen und eine Institution ins Leben zu rufen, in der die sachgemäße Erforschung der Über die historische Probleme der Zeit im allgeimeinen: Plaschka Richard Georg - Mack Karl- Heinz: Die Auflösung des Habsburgerreiches. Wien 1970, 556.p. Über die Archivfragen noch immer grundlegend: Bittner Ludwig: Die zwischenstaatlichen Verhandlungen über das Schicksal der öster­reichischen Archive nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungams. Archiv für Politik und Ge­schichte, Heft 1. 1925. 58-96. Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Sonderband 4/1998 15

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