Sonderband 4. Das Institutionserbe der Monarchie. Das Fortleben der gemeinsamen Vergangenheit in den Archiven (1998)

Pál Pritz: Geschichte des ungarischen auswärtigen Dienstes 1918-1945

Pal Prit7 sul, er erhielt nur den Titel eines außerordentlichen Gesandten und bevollmächtig­ten Ministers. All das läßt erahnen, daß die ungarische Außenpolitik in Wahrheit gar nicht versucht hatte, ihren diplomatischen Wirkungskreis so weit auszudehnen. Die Entscheidung mochte eher dem alten Drängen eines Teils der öffentlichen Meinung, sopwie den Anforderungen der damaligen Zeit - vergessen wir nicht: Ungarn hatte am 24. Februar 1939 den zwischen Deutschland und Japan am 25. November 1936 zustandegekommenen Antikomintern-Pakt unterschrieben - vielleicht so halb und halb entsprechen16. Die Errichtung der Gesandtschaft in Lissabon anfangs Mai 1939 hatte ein ganz anderes Motiv. Der Ministerpräsident Pal Teleki suchte gegen die immer mehr drückende Präsenz der Deutschen nach einer bescheidenen Möglichkeit der Bewe­gungsfreiheit. Die geographische Lage der Hauptstadt Portugals bot ideale Um­stände zur Pflege der Beziehungen mit den Westmächten: die während der Jahre des Weltkrieges hier vorgefallenen diplomatischen und anderwertigen geheimen Plänkeleien haben dies sehr plastisch bewiesen. Zur Organisierung der Gesandt­schaft erhielt Andor Wodianer, Gesandtschaftsrat I. Klasse, den Auftrag. Er war ein sehr erfahrener Diplomat, der seine Laufbahn noch im gemeinsamen auswärti­gen Dienst begonnen hatte. Was seinen Beruf betrifft, hatte er dessen Atmosphäre schon in seinem Elternhaus eingesogen, war doch sein Vater - Jänos Wodianer - einer der leitenden Diplomaten der Monarchie gewesen. Auf seinem Posten in Lis­sabon bewährte er sich ausgezeichnet, diente gut den Friedensbestrebungen von Miklös Källay. Er blieb bis zur deutschen Besetzung des Landes auf seinem Posten, dann aber verzichtete er auf seine Stellung und schloß sich jenem Komitee der Ge­sandten an, das aus der dissidenten Diplomaten gebildet worden war, von dem Ziel geleitet, die internationale Lage der in eine tragische Situation geratenen Heimat zu verbessern17. 1941 wurde in Teheran - übrigens für nur kurze Zeit - eine Gesandtschaft errich­tet, und damit war die ein Vierteljahrhundert andauernde organische Entwick­lungsepoche auch vorzeitig beendet worden. Alle weiteren - beziehungsweise teils vorhergehenden - Missionsumänderungen standen mit den Aggressionsschritten beziehungsweise mit dem Krieg in irgendeiner Weise, aber jedenfalls unmittelbar im Zusammenhang. So wurde nach dem Anschluß die Wiener Gesandtschaft zu einem Generalkonsu­lat umgestaltet, nach dem Austritt aus dem Völkerbund wurde auch die Genfer Vertretung zu einem Generalkonsulat. Nach dem Zustandekommen des slowaki­schen Marionettenstaates war der Disz tér dagegen gezwungen, das Preßburger, in­folge der Ausrufung des kroatischen Marionettenstaates das Agramer Konsulat zu Gesandtschaften zu „entwickeln“. Nach dem Überrollen Polens wurde „natürlich“ auch die Tätigkeit der Warschauer Gesandtschaft eingestellt, infolge der Liquidie­rung Jugoslawiens dagegen wurde die Belgrader Gesandtschaft zu einer konsulari­schen Vertretung umgestaltet. Nach dem Überrollen von Belgien und Holland wur­16 Juhäsz 1988, 208 und Pritz 1995, 87. 17 Über das Lissabon der Kriegsjahre s. Elemér Ujpétery: Végâllomâs Lissabon (Endstation Lissabon). Memoiren. Bp. 1987. 11

Next

/
Oldalképek
Tartalom