Sonderband 4. Das Institutionserbe der Monarchie. Das Fortleben der gemeinsamen Vergangenheit in den Archiven (1998)

Pál Pritz: Geschichte des ungarischen auswärtigen Dienstes 1918-1945

Geschichte des ungarischen auswärtigen Dienstes 1918-1945 aristokratischer Herkunft. Von ihrer Erziehung, ihren Sprachkenntnissen her eig­neten sie sich zwar in den meisten Fällen zur traditionellen diplomatischen Geschäftsführung, wohl aber kaum dazu, reisende Wirtschaftsagenten ihres Landes zu sein. Im Mai 1926 bestand das Konzipistenkoprs des auswärtigen Dienstes aus 156 Beamten, unter ihnen 10 Grafen und 16 Barone. Obwohl dieser Anteil noch immer verhältnismäßig hoch war, erlangte nur ein Bruchteil von ihnen Spitzenposi­tionen, und die meisten stammten aus Familien, die erst im XIX. Jahrhundert oder sogar noch später geadelt worden waren. Die Leiter des Ministeriums verpflichte­ten, über die Konsulate und Honorarkonsulate hinaus, auch die Gesandtschaften zur wirtschaftlichen Berichterstattung über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des jeweiligen Landes. Im April 1926 rief Lajos Walko die ins Ausland akkreditierten Beamten in einer Verordnung zur Neubelebung der altbewährten Vorkriegspraxis auf, wonach die Mitglieder der Auslandsvertretungen öffentliche Vorträge für die ungarischen wirt­schaftlichen Interessenvertretungen über die Wirtschaftsverhältnisse des betreffen­den ausländischen Staates hielten5. Dessenungeachtet fand diese Verordnung nicht die erwartete Aufnahme. Charakteristisch ist, daß neben den Abgeordneten der Opposition auch die Abgeordneten der Regierungspartei auf größere Aktivität in diesem Bereich drängten. Im Oktober 1920 hatten bereits 14 Gesandtschaften, Vertretungen, Konsulate und Konsularvertretungen ihre Tätigkeit in der ganzen Welt aufgenommen. Ge­sandtschaften gab es - in der Reihenfolge ihrer Errichtung nach - in Wien, Bern, im Vatikan, Vertretungen in Berlin, Den Haag, Rom, Warschau, Belgrad, Prag und Paris, ein Generalkonsulat in Berlin, Konsulate in Hamburg und Köln und eine Konsularvertretung in Triest. Obwohl das ungarisch-rumänische Verhältnis zu dieser Zeit äußerst gespannt war und folglich bis dahin auch die Errichtung einer Vertretung in Bukarest verhindert hatte, erzwang schließlich die den Möglichkeiten angemessene Vertretung der Ungarn in Rumänien, daß zuerst in Bukarest eine ungarische Auslandsvertretung errichtet wurde (Januar 1921)6. Zwei Monate später wurde in Stockholm eine Gesandtschaft eingerichtet und im Mai ein ungarisches Sekretariat bei der Genfer Zentrale des Völkerbundes. Gleichfalls im Mai wurde ein Konsulat in München ge­schaffen und erst danach - am 3. Juni 1921 - eine Vertretung in London. Zwar war der Friedensvertrag bereits am 4. Juni 1920 unterzeichnet worden, Ungarns diplo­matische Anerkennung aber war das Ergebnis eines längeren Prozesses, im Laufe dessen dann auch die bereits früher geschaffenen Vertretungen zu Gesandtschaften bzw. Konsulaten erhoben wurden. Im August 1921 öffnete die Gesandtschaft in Sofia ihre Pforten, nachher - im Ok­tober - nahm auch die Gesandtschaft in Washington ihre Arbeit auf. 5 Iratok (Dokumente) Nr. 277. Übrigens mußte diese Verordnung nicht die erwartete Aufnahme ge­funden haben, weil Walko sie 1930 wiederholen mußte. 6 Hory, Andräs: Bukaresttöl Varsöig (Von Bukarest bis Warschau). Bp. 1987. (Das Kapitel über Buka­rest.) 4

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