Sonderband 3. „wir aber aus unsern vorhero sehr erschöpfften camergeföllen nicht hernemben khönnen…” – Beiträge zur österreichischen Wirtschafts- und Finanzgeschichte vom 17. bis zum 20. Jahrhundert (1997)
Thomas Winkelbauer: Finanznot und Friedenssehnsucht. Der Kaiserhof im Jahre 1645
Thomas Winkelbauer konnte die kaiserliche Hauptarmee nicht ins Feld ziehen, da weiterhin 100 000 Gulden für die Auszahlung des bereits fälligen Soldes fehlten. Aus dem Königreich Neapel übersandte Wechsel wurden von Wiener Kaufleuten bzw. Bankiers zunächst nicht akzeptiert. Erst ab dem 21. Juli war der Erzherzog endlich in der Lage, seine südlich der Donau stehenden Truppen Richtung Preßburg (gegen Räköczy, mit dem wenig später ein Waffenstillstand geschlossen wurde) in Marsch zu setzen68. Auf der verzweifelten Suche nach „eilenden Hilfsmitteln“ wurden mittels Zwangsanleihe auch die Kirchenschätze zur Armeefinanzierung herangezogen, damit auf diese Weise „der hochstbedörfftige nervus belli zu wegen gebracht und die nothlei- dende kirch wider ihre feindt und Verfolger defendirt und erhalten werden möchte“. Erzherzog Leopold Wilhelm befahl als Generalissimus der kaiserlichen Armee den Jesuitenprovinzialen in Böhmen, Österreich unter und ob der Enns, Steiermark, Kärnten und Krain, das „vorhandene Silber, golt und edelgestein, so notori zu cele- brirung des Gottesdienst nit unentperlich vonnöthen ist“, schleunigst abzuliefem und gegen mit 6 Prozent verzinste Obligationen einzutauschen69. Der Kaiser versuchte, mit gutem Beispiel voranzugehen. Bereits am 10. Jänner hatte der Geheime Rat und Hofkammerpräsident Ulrich Franz von Kolovrat in seinem Gutachten unter anderem angeregt, „200 000 gulden klainodien, so mann kann, zu verkauffen“70. Nach der Schlacht bei Jankau wurden die wertvollsten Juwelen der Schatzkammer nach Graz verlagert, um sie nicht den Schweden in die Hände fallen zu lassen, die freilich nicht daran gehindert werden konnten, nach dem Motto Der Krieg ernährt den Krieg aus den besetzten habsburgischen Ländern - unter Androhung von Brandschatzungen - Kontributionen71 in Geld und Naturalien (Nahrungsmittel und Futter) zu erheben72. Am 17. Mai 1645 wurden 33 Kleinodien durch den Wiener Juwelier Thomas Flicker auf insgesamt 326 790 Gulden geschätzt. Zwei weitere allzugroße Stücke - das berühmte Gefäß aus einem dunkelgrünen kolumbianischen Smaragd bester Qualität von (nach dem Schliff!) 2680 Karat, das vor 68 Broucek: Bedrohung Wiens, S. 153 f.; derselbe: Schwedenfeldzug, S. 18. 69 HKA Wien, Hoffinanz, rote Nr. 298, Konv. Mai 1645, Erzherzog Leopold Wilhelm an die Provinziale der Jesuiten in Böhmen, Österreich unter und ob der Enns, Steiermark, Kärnten und Krain, Wien, 8. Mai 1645 (nicht expedierte Ausfertigung). Vgl. Broucek: Bedrohung Wiens, S. 143 f., sowie das Verzeichnis („specification“) des im Wiener Schottenstift vorhandenen Kirchensilbers, das Abt Anton am 24. Mai 1645 an einen Rat Leopold Wilhelms sandte: Wolfsgruber, P. Cölestin (Hrsg.): Die Correspondenz des Schottenabtes Anton Spindler von Hofegg. Wien 1893, S. 81-87. 70 Ruppert: Politik, S. 382. 71 „Kontribution“ ist hier nicht ein Synonym für die von den Landtagen bewilligte (direkte) Steuer, sondern „Terminus technicus“ für die „Abschöpfung des Sozialprodukts und seine Umverteilung vom zivilen auf den militärischen Sektor“ durch den militärischen Besatzer. Repgen: Ferdinand III., S. 150. Vgl. auch Salm: Armeefinanzierung, S. 23 f., sowie Ritter, Moriz: Das Kontributionssystem Wallensteins. In: Historische Zeitschrift 90 (1903), S. 193-249. 72 Zu den Kontributionen in den von den Schweden besetzten Teilen Böhmens und Mährens in den Jahren 1645 und 1646: Documenta Bohemica. Bd. 7, S. 196 Nr. 575 und öfter, Liva (Bearb.): Prameny, Teil 7, S. 310, 418 und passim; Matëjek: Morava za tricetileté vâlky, S. 314-318 und 335-353. Zum System der Kontributionen und der Brandschatzung zusammenfassend Parker, Geoffrey: Die militärische Revolution. Die Kriegskunst und der Aufstieg des Westens 1500-1800. Frankfurt/Main-New York 1990 [engl. Originalausg. 1988], S. 89-92. 11