Király Nina - Török Margit: PQ '95. Magyar színpad - kép - írók (Budapest, 1995)

A változás színháza 1991 - 1995

als einer, der weiss, dass er keine Angst vor den unsicheren Demokraten haben soll; er kann sich sogar eine provokative Tirade beim Casars Leiche leisten. Als ob nicht einmal die Redner an den Trauerreden glaubten, oder sie halten es nicht einmal für wichtig, Brutus erklärt lakonisch, Antonius bleibt hinter den demagogischen Möglichkeiten des Textes. Sie hetzen nicht einmal die blasiert herumschlendernden Menschen der Strasse, die nach dem behaglichen Abbau der Rednertribüne nur dann zu Kräften kom­men, nur dann die schlummernde Bestialität in ihnen erweckt, wenn der unschuldige Episodspieler der Ereignisse, der potentielle Opfer erscheint: Cinna, der Intellektuelle, Der Zuschauer der Aufführung hat das ausdrückliche Gefühl, dass er eine Theaterreportage sieht, die um die schmutzigen .örtlichen Kriege um die Macht geht Wahrscheinlich würde sich keiner wundem, wenn es ein Dokumentarfilm über Bosnien auf einen der Film­leinwand ähnelnden Schleier, die das Bühnenbild bilden, projiziert würde. Shakespeares Zeitgenosse, Christopher Marlow stellt den politischen Schlachthof in seinem Eduard II. sehr roh dar. Die Aufführung des Budapester Kammer­theaters (1993) besitzt gleichzeitig schülerhafte Ironie und stilistische Disziplin, man sieht darin gleichzeitig den Greuel der blutdürstigen Geschichte und ihren zu Posse verdorbenen Ritus, es ist gleichzeitig fähig, sich vor der Burleske der Fleischerarbeit zu entsetzen und von dem in der Machtkampf getöteten Menschenopfer erschüttert zu werden. Es spielt nicht die bilderisch dargestellte Allegorie die Hauptrolle, nicht die zum Schlachthof umgestaltete geschichtliche Bühne ist am wichtigsten, wo die Peers und Lords ihre Fleischer­schürzen von den Fleischhaken abhängen und anziehen, wo sie mit Schlauch die an den Kachel getrocknete Blut abwaschen, die Köpfe mit Beil abschlagen, und den Opfer auf die Halbschweine sortierende Kette hängen - es ist nur Teil des spöt­tischen Rituals — das Wesentliche ist eher die gleich­weis ritualisierte Darstellung der menschlichen Verhaltungsformen. Vor allem der Darsteller in der Titelrolle, Eduard II ., der so wirkt, als ob er nicht aus der Renaissance, sondern aus der Gotik hervorträte, mit seinem statuenhaften, bewegungslosen Gesicht, mit den ruhigen, verein­fachten Posen seiner Haltung, mit der Sparsamkeit seiner Gesten. Aus dieser archaischen Figur brechen den Regeln des psychologischen Realismus wider­sprechend die Leidenschaften und Unsicherheiten plötzlich, isntinktiv und .irrationell aus, besonders seine homosexuelle Schwärmerei für den Günstling, die grundlegend bestimmend für seine menschlich­königliche Haltung, für seine Beziehung zur Herrschaft ist. Die Darsteller sind Teile des historischen Fleisch­wolfes, sie treten aus der Masse hervor und kehren dorthin zurück, wenn sie sich nach ihrem Tode in einer neuen Rolle inkarnieren. So wird aus dem alten Henkel ein neuer Opfer und aus dem alten Opfer ein neuer Henkel. In dem Hintergrund der winzigen Bühne ist der historische Schlachthof; im Vordergrund, auf der in die Zuschauer ziehende schmalen Erdzunge sind die Spieler des archaischen Königsdramas, wie sie für uns wohlbekannt ihre Günstlinge aushalten, Zwie­tracht versuchen, für die Macht quengeln, einander niedermetzeln, und ihre Meinung den augenblick­lichen Interressen entsprechend ändern. Schmutzige kleine Mördereien, das lumpige Mittelmass in historisch öffentlicher Rolle - so zeigt dr. Christopher Marlow, Fleischer und Selcher das Gesicht der Wahrheit im Theater Bei Georg Büchner fressen die Kinder der Freiheit einander in Dantons Tod (1993) auf. Wenn es wirk­lich Kinder mit Menschenköpfen Ball spielen, so ist das Drama noch grausamer. In der Kammer, auf der Studiobühne des József Katona Theaters wird das Schauspiel von jungen Darstellern gespielt. Die vorzei­tige Enttäuschung von den geschichtsträchtigen Ereignissen — als Alterseigentümlichkeit — ist immer sehr tragisch. Bei der Aufführung fühlt man in erster Linie den Ekel der Pubertätszeit vor der Unappetitlich­­keitdes politischen Generalstabes. Man kann natürlich auch sagen, dass es keineswegs diejakobinishce Entschlossenheit der Samt Justs fur unsere junge poli­tische Elite charakteristisch sei, und dass heutzutage der Kamp nicht aufs Blut gehe, die republikanische Idee noch nicht gefallen sei, dass heute es mit milde­ren Methoden herausgedrängt werde, als die Guillotine. Ja, aber ausser vor dem Konvent ist immer die Strasse da - wie auch im Bühnenbild der Auf­führung —, und die beiden funktionieren im allgemei­nen zusammen, mit einem eigentümlichen Plan­wechsel. Auch wenn die Strasse zur Zeit noch leer ist. Es ist leicht zu bemerken, wie das Endspiel in der Auf­führung besser ausgearbeitet ist - die zähneklap­pernde Angst im Gefängnis und der grausame Ritus vor dem Tode —, als der dorthin führende Weg, die Darstellung des Ekels und der manipulativen Fraktions­kämpfe. Es kann sein, dass es von der Ungeübtheit des jungen Regisseurs kommt, aber auch die demonstra­tive Absicht, irgendeine Verfremdungsgeste von dem Mechanismus des Politikmachens kann nicht ausge­schlossen sein. So hat dieses jugendhafte Unbehagen eine richtige Botschaft für die Gegenwart. Wir müssen diese verzweifelte Enttäuschung ernst nehmen, die aus der Aufführung strömt. Wenn die aus der Diktatur Demokratie kreierende Ordnung ihre eigene Kinder umbringt, wenn das öffentliche Leben von seinen besten "gereinigt" wird, wenn schon jeder men­schliche Wert von den in Kalkgrube geworfenen Leichen der Gesellschaftsumwandler begraben wird, dann schreit die Witwe des ehrlichsten Republikaners auf: "Es lebe der König!" Dieser verzweifelte Satz, der am Tiefpunkt der Enttäuschung das "éneién régime" zurückwünscht, kann man selten so erschrecklich hören, wie bei der Aufführung der Kammer. Eine andere Gruppe der politisierenden Aufführungen rührt an die Verantwortlichkeit der in der Vergangen­heit begangenen Sünden, beziehungsweise sucht nach den Möglichkeiten der Vergebung und der gesellschaftlichen Versöhnung. Es ist ja verständlich in einem Augenblick, wenn die Frage noch nicht befriedi­gend abgeschlossen ist, ob die Verantwortlichen der in der Revolution von 1956 gefeuerten Schüsse aufzudecken sind, und falls ja, ob man rechtliche oder menschliche Verantwortlichmachung gegen sie für nötig findet. Wie weit dauert diese Justiz und wo beginnt die unedle Rache: Wohin führt es, wenn die Vergangenheit endgültig nicht abgeschlossen werden kann und die Feinde, die gesellschaftlichen Gruppen, die unfähig sind, sich zu versöhnen, weiterhin die Atmosphäre der Beschuldigung und Gehässigkeit aufrecht erhalten? Die berühmteste klassische Tragödie der Enthüllung der Vergangenheit ist das antike Kriminaldrama, Sophokles' König Oidipus. Die Aufführung der alter­nativen Unabhängigen Bühne 11992) hat betont, dass es um eine Familientragödie geht, die sich vor der Öffentlichkeit der Gemeinschaft abläuft, und hat ein­deutig gemacht, dass es heute keine Gemeinschaft mehr existiert, wie es in der Antike gab. Das Wesen der Dramadeutung des Lustspieltheaters (1994) ist, dass Oidipus aus uns stammt, ein einfacher Jüngling ist - aus dem Titel der Tragödie wurde das Wort "König" weggelassen -, der zufällig, durch seine natürliche Erfindsamkeit Besitzer der Macht wurde. Wenn er seinen Sünden entgegensehen soll, die er auf dem Weg zur Macht unabsichtlich begangen hat, will er zuerst kindisch die Folgen von sich ablehnen, dann gibt er den unerbittlichen Gesetzen und der mitleid­losen Grausamkeit der Masse - der Öffentlichkeit - nach und ergibt sich seinem Schicksal: der Bestrafung. In der Aufführung geht es darum, dass auch der unschuldigste Mensch zu einem Verbrecher, und andererseits zu einem Opfer wird, wenn er in die Maschinerie der Macht gelangt. Es ist bestimmt kein Zufall, dass der blinde Oidipus am Ende so die Buhne verlässt, dass er das "Fell" der von ihm getöteten Sphinx hinter sich zieht. Die wahrscheinlich absichtlich depolitisierte Aufführung, wo sich rituelle und realisti­sche Motive Wachsein, ist eine Art von Requiem für den sich in die Politik verwickelten Alltagsmenschen. Das Motiv der Sünde und der Rache erscheint im ersten Schauspiel von Heinrich von Kleist unter dem Titel Die Familie Schroffenstein oder Die Rache Es wurde von der Studiobühne des Budapester Kammer­theaters aufgeführt (1994). Die Geschichte ist eigent­lich eine Paraphrase von Romeo und Julia. Es geht um die böse Gehässigkeit zweier verwandten Familien. Am Anfang der Handlung klagt die eine Familie die andere eines Mordes an, und schwört Rache, obwohl es sich schnell herausstellt, dass die Gehässigkeit schon viel älter ist. Eigentlich weiss niemand, wovon sie ausgelost wurde und wann sie begann. Die irrationalen Leiden­schaften münden schliesslich in ein Blutbad. Das Opfer der Streiterei ist, wie bei Shakespeare, ein Liebespaar: die Tochter des einen, und der Sohn des anderen Familienoberhaupts. Die grundlosen Anfeindungen, die die Aufführung so ironisch darstellt, erinnern uns an die politischen Zwistigkeiten, die zwischen den Parteien der einander gegenüberstehenden Ansichten in unserem öffentlichen Leben vollziehen. Manchmal gibt es mildere Parabeln, die die Gegen­wart zu deuten helfen. Das Künstlertheater hat Samuel Becketts klassische Absurde, Warten auf Godot 11994) auf dem Spielplan. Die vielfach zu deutende XVII

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