Király Nina - Török Margit: PQ '95. Magyar színpad - kép - írók (Budapest, 1995)
A változás színháza 1991 - 1995
DAS THEATER DER VERÄNDERUNG 1991/1995 Das Theater hat es in zwei Epochen leicht: in der Diktatur und in der konsolidierten Wohlfahrtsdemokratie. Das Theater der Diktatur ist das Theater der Metakommunikation. Hamlet kann zu jeder Zeit so aufgeführt werden, wie Hamlet Claudius die Ermordung von Gonzago aufführt mit provozierender Spitze, metaphorisch. In einer konsolidierten Wohlfahrt gibt es keine Macht, die es sich lohnte zu provozieren, man kann aber die moralische Einrichtung, den Spielinstinkt, den Konflikt, der sich aus der natürlichen Auseinandersetzung zwischen Freiheitsdrang und Konformismus ergibt, die selbstvergessene Freude 'des Anders-seins" beeinflussen. Das Theater der Diktatur ist das Theater des unkontrollierbaren kollektiven Aufruhrs; das Theater der Wohlfahrtsdemokratie ist das Theater des Auslebens der in der Gemeinschaft sich zur Geltung kommenden individuellen Rollenmöglichkeiten In Ungarn gibt es keine Diktatur mehr, aber auch noch keine Wohlfahrtsdemokratie. Wenn wir uns von der ersteren der letzteren nähern, so werden wir einmal eine bürgerliche Mittelklasse und eine Intelligenz haben, die für den Genuss der Kultur nicht nur auf Grund ihres Intellekts, sondern auch auf Grund ihrer finanziellen Basis geeignet ist, das Theater geistlich zu unterhalten. Zur Zeit gibt es keinen gesellschaftlichen Boden weder für das aktuelle potitische Theater der Enthüllungen - das politische Theater spielt sich heute in der Politik ab -, weder für den selbstvergessenen gemeinsamen Spielinstinkt Trotzdem konnte das Theater seine Positionen in den vergangenen verjähren besser als erwartet bewahren. Diese Feststellung klingt ein bisschen paradox. Einerseits muss man sich über die kaum glaubbare Stabilität, die die frühere Struktur hinüberrettete, freuen. Dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass sich das System der staatlichen Finanzierung erhalten hat und keine Theater von einem Tag auf den anderen geschlossen, Ensembles auseinandergelassen wurden, wie es vielerorts geschah. Andererseits ergibt sich mit Recht die Frage, wie das Theater Ist - durch ihre Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit die empfindlichste und explosivste Kunst -, die von der in dem vergangenen halben Jahrzehnt erfolgten gesellschaftlichen Umwandlung nicht erschüttert wird? Beginnen wir mit den Betriebsvoraussetzungen. Die langsame Erosion der Struktur hat schon vor der Systemveränderung angefangen und hat sich dann nachher in einem ähnlichen Tempo fortgesetzt, wir können also statt Revolution von Evolution sprechen Das paradoxeste unter den diesen Vorgang unterstützenden Motiven war die kontinuierliche Minderung der finanziellen Quellen, die mit der Raumgewinnung des kommerziellen Theaters verbunden war. Die Struktur wurde vom Geldmangel zusammengehalten, man konnte eine relative wirtschaftliche Stabilität ja nur mit Repertoirbetrieb erreichen: durch das Zueinanderrichten der Repertoirstücke und der Marktanspruche. Die Voraussetzung eines Repertoirtheaters ist das ständige Ensemble, das die anspruchsvolle Arbeit, den Werkstattgeist begünstigt. Es ist also verständlich, dass der bestimmende Teil des Theaterlebens, der glücklicherweise mit den begabtesten - und, sich in Posititionen befindenen - leitenden Künstlern koinzidierte, auf Aufrechterhalten der Ensembles bestand und den ’kapitalisierenden" Versuchen Widerstand leistete Man musste für die vernünftige Veränderung des Finanzierungssystems kämpfen. Es ist gelungen den mechanischen, auf die Normativität bauenden Finanzierungsplan der technokratischen Regierung von 1989 abzuwehren, der anhand der Zuschauerplätze über die Finanzierung Entscheidung getroffen hatte, und damit die kleinen Theater ungerecht geschlagen hätte. Das neue System hat statt dessen die Unterstützung des Staatsbudgets in Budapest auf 50, in der Provinz auf 60 Prozent festgesetzt. Der ubriggebliebene Teil der Kosten muss aus örtlichen und Sponsorquellen gedeckt werden, beziehungsweise von den Theatern aus eigenen Einnahmen ausgewirtschaftet werden. Dieses System bewies sich zwar nicht reibungslos, aber funktionsfähig. Sein Aufrechterhalten ist immer schwieriger, was eindeutig die Theorien widerlegt, dass sich das Theater unter bestimmten Umständen erhalten kann. Es Ist kein Zufall, dass es zur Zeit keine Unternehmer gibt, die Privattheater betätigen oder andere Formen als das Repertoiretheater ausprobieren wurden. Die Umstände sind für Marktversuche noch nicht reif, nicht einmal in den Musiktheatern; um die relative Zurückerstattung der Aufführungskosten musste man die Eintrittspreise so hoch setzen, dass es keine Nachfrage für diese Produktionen gäbe Für längere Zeit muss man mit dem Rückgang der staatlichen Subventionierung rechnen, der notwendigerweise die Struktur umgestaltet, und den Kreis der staatlich begünstigten Theater radikal vermindern wird Die Systemveränderung hatte keinen explosivartigen Einfluss auf die geistlich-künstlerische Leistung des Theaters. Abgesehen von einigen schnellen Aufführungen von publizistischer Tongebung, die sich in die Euphorie der Freimütigkeit vertieften, kehrte man zu der metakommunikativen, sich in den diktatorischen Jahren verfeinerten Theatersprache zurück. Es hat sich herausgestellt, dass es sich nicht lohnt, das Theater als Kanzel in einer Zeit zu gebrauchen, wenn es von dem Parlament bis zu den Zeitungen überall Kanzel gibt. In der Wirklichkeit liess das allgemeine Interesse an das Theater nach, denn es war nicht mehr Schauplatz der zensierlosen Zusammenatmens. In den neunziger Jahren können wir nicht mehr erwarten, dass es ein stillschweigender Konsensus zwischen den Spielenden und den Zuschauern über das ’Unaussprechbare" zustande komme, wie bei der Inszenierung von János Ács in Kaposvár, in Peter Weiss' Marat/Sade im Jahre 1981 Es ist auch unwahrscheinlich, dass die Hilfslosigkeit der Intelligenz, die zurückgehaltene Vegetation auf Sparflamme wieder zu solch einem gemeinsamen Sinneserlebnis wird, wie bei Tamás Aschers berühmten, die ganze Welt bereisten Drei Schwestern. Es lohnt sich hier ein bisschen anzuhalten. Die Drei Schwestern, die 1985 aufgefuhrt wurde, hatte 238 Aufführungen Sie wurde im Februar 1994 zum letzten Male gespielt. Einige Wochen spater, am Welttag des Theaters, wurde es auch im Fernsehen gezeigt. Das Katona-JOzsef-Theater, und dadurch die ungarische Theaterkunst, hat die internationale Aufmerksamkeit durch diese Aufführung erregt. Wenn wir das Geheimnis des ungewöhnlichen einheimischen Erfolgs der Aufführung beschworen - es kommt selten vor, dass Tschechow so lang gespielt wird —, .können wir auch verstehen, was ein für alle Mal zu Ende ging Das ungarische Publikum der zweiten Hälfte der achtziger Jahre hat gefühlt, dass die zurückgehaltene Stimmung vor Explosion, die hinter dem scheinbaren Idyll den Mangel an Freiheit und Lebensmoglichkeiten angab, und die während der Vorwärtsentwicklung der Handlung in den historischen Ausbruch der Spannung mundete, von seinem Leben handelt Die Drei Schwestern hat ohne direkte Aktualisation die Untragbarkeit der Diktatur ausgestrahlt. Das Theater sollte sich und seine Auffassung von seiner Rollenverpflichtung in unserer Region in den vergangenen Jahren ohne Zweifel umwerten. Wie soll aber diese Umwertung stattfinden? Georges Banu, der ausgezeichnete französische Kritiker spricht von dem Zurückfinden zu den sprachlichen Werten und im Zusammenhang damit von dem Aufleben des Theaternationalismus. Davon haben wir auch Erfahrungen Und zwar solche, mit denen wir wahrscheinlich den meisten ähnlichen europäischen Erscheinungen vorausgegangen sind. Im Rumänien von Ceausescu galt es genauso als oppositionelle Tat in den ungarischen Theatern der Mmdernheit auf ungarisch zu spielen, wie jetzt in den moldauischen Theatern auf rumänisch. Die siebenbürgischen ungarischen Theater sind zu einzig legalen Sammelplätzen der entrechteten unterdrückten Minderheit geworden, wo es genügte, ungarisches Wort zu hören, damit die Seelen sich verbinden und das Gefühl der Solidarität in den Herzen verstärkt wird. Für das Theater, als ästhetische Erscheinung erwies es sich sehr tragisch Wo nur die Muttersprache selbst genügt um Erlebnis zu bekommen, dort braucht man nicht die Verfeinerung der. XV