Judit Tamás: Verwandte typen im schweizerischen und Ungarischen kachelfundmaterial in der zweiten hälfte des 15. jahrhunderts (Művészettörténet - műemlékvédelem 8. Országos Műemlékvédelmi Hivatal,1995)
Auswertung
sondern auch von einem anderen Gesichtspunkt aus beigemessen werden sollte: hier waren nämlich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Kupferstiche sehr beliebt, die das Vorbild für beide Kachelgruppen abgegeben haben könnten. Fraglich bleibt nach wie vor, wie die mit der Budaer wahrscheinlich identische Engelkachel des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe dorthin gelangt ist. Laut Konrad Strauss wurde sie im süddeutschen(l) Kunsthandel erworben. 405 Waren vielleicht auch weitere Exemplare dieser Variante der Verkündigungsengel auf süddeutschem Boden vorhanden? Ebenfalls beantwortet werden sollte die Frage, ob man dem österreichischen Raum eine Vermittlerrolle zuschreiben darf. Rein geographisch gesehen wäre dieses Land als Berührungszone zwischen den beiden Regionen prädestiniert gewesen, beim heutigen Stand der Forschung aber - solange wir das Fundmaterial der kaiserlichen Residenzen (Wiener Neustadt, Graz, Linz) nicht kennen kann diese Vermutung weder bekräftigt noch abgelehnt werden. Allerdings belegen Schriftquellen wie auch archäologische Funde recht intensive Kontakte zwischen Wien und den westungarischen Städten Preßburg und Sopron (Odenburg): Kacheln als Fertigprodukte wurden aus der österreichischen Hauptstadt importiert 406 und Wiener Meister jenseits der Grenze beschäftigt. 407 Ungeachtet dieser Angaben konnte die Ubermittlerrolle Österreichs in unserem Arbeitsgebiet lediglich in einem Falle, bei den Friedrichskacheln - und selbst hier nur mit kunsthistorischen Mitteln -, nachgewiesen werden. In besonderem Licht erscheint dieses Problem, wenn wir auch István Felds Hypothese in unsere Erwägungen einbeziehen, wonach der Ofen mit Rittergestalten von Buda aufgrund der Wappenschilde mit der Person Friedrichs III. zu verbinden und seine Werkstatt nicht unbedingt auf Ungarn zu lokalisieren sei. 408 War es vielleicht der Kaiser selbst, der als vermuteter Besteller des Ravensburger Ofens 409 die Mode der fünfblättrigen Rosetten, baumbewachenden Löwen usw. inspirierte? Wenn aber die Werkstatt des Ofens mit Rittergestalten wirklich auf ungarischem Boden gearbeitet hat, müssen wir diese Idee fallen lassen; dann war es nicht Friedrich III., mit dessen Rolle als Mäzen die gemeinsamen und/oder verwandten Motive der beiden Kachelgruppen erklärt werden können. „Wir haben es bei der baumbewachenden Löwenkachel zum ersten Mal mit der weiten Verbreitung einer besonders beliebten Kacheldarstellung zu tun, ausgehend von einem bedeutenden Hafnerzentrum, wie es im 16. und 17. Jahrhundert zu beobachten ist." 410 Mit diesen Worten lenkte Rosemarie Franz das Interesse der Kachelforschung auf das nun auch von uns behandelte Phänomen. Wir möchten ihre Feststellung unsererseits folgendermaßen präzisieren: Bei den zwei dargestellten großen Kachelgruppen haben wir es - bis auf einige spärliche frühere Ausnahmen 411 - zum ersten Mal mit der weiten Verbreitung besonders beliebter Kacheldarstellungen zu tun, ausgehend von einem (unbekannter Betriebsort der Werkstatt des Ofens mit Rittergestalten, Zürich) oder mehreren (Oberrheingebiet, Bodenseeraum) bedeutenden Hafnerzentren. Die Frage, wie diese Verbreitung erfolgte, konnte weder von Rosemarie Franz, noch kann sie heute beruhigend beantwortet werden, obwohl die Kachelforschung theoretisch mit zahlreichen Möglichkeiten zu rechnen pflegt. Im folgenden wollen wir - uns, soweit es möglich, nach dem in der Einleitung umrissenen Schema richtend — diese Möglichkeiten zusammenfassen und sie zugleich mit konkreten, aus unseren eigenen Untersuchungen herangezogenen Beispielen illustrieren: 1. Direkte Verbindungen: — Transport von fertigen Kacheln als Verbreitungsmöglichkeit der Originalprodukte einer Werkstatt: