Karl Alfred von Zittel: Handbuch der Palaeontologie. 1. Abtheilung, Paleozoologie. I. Band: Protozoa, Coelenterata, Echinodermata und Molluscoidea (München und Leipzig, 1880)

Einleitung - III. Geschichtlicher Überblick

Entwicklung im vorigen Jahrhundert. 39 Vorkommen der fossilen Beste in sehr festen und häufig gebogenen oder auf­gerichteten Gesteinsschichten der Annahme einer einzigen Ueberfluthung in Weg stellten, die nach orthodoxer Auslegung der Bibel noch dazu durch süsses Wasser hervorgerufen sein musste. Ihr Erfolg war jedoch nicht von langer Dauer. Schon von Anfang an wurde geltend gemacht, die Religion könne durch geschraubte Auslegungen der Mosaischen Schöpfungsgeschichte und durch Ver­na engung von Glaubenssachen mit naturwissenschaftlichen Fragen Nichts gewinnen; es Seien darum auch alle Sündfluthstlieorien verwerflich. Quirini (1676), Vallisnieri (1721) und Spada (1737) in Italien, wider­legten mit guten Gründen die Sündfluthslehre , aber ihre eigenen Speculationen über Erdbildung bieten kaum weniger Anhaltspunkte für die Kritik dar. Ueber­haupt wussten die Antidiluvianer des 17. und 18. Jahrhunderts nichts Besseres an Stelle der von ihnen bekämpften Lehre zu setzen. So brachte z. B. der berühmte englische Mathematiker und Naturphilosoph Robert Hooke, dessen posthume Werke 1705 erschienen, eine neue Theorie auf, wonach in der Periode zwischen Schöpfung und Sündfluth das Festland mehrmals unter den Meeresspiegel versank und umgekehrt der Meeresboden zu wiederholten Malen aufs Trockene gehoben wurde; allein es spielen in seiner Schöpfungsgeschichte die Erdbeben und Krisen der Natur eine so wesentliche und unnatürliche Rolle, dass sie sich weder bei den Zeitgenossen H o o k e ' s noch später sonderlichen Beifalls erfreute. Sehr fein sind dagegen seine Beobachtungen über die Versteinerungen. Nicht allein bemerkte er, dass gewisse Arten besonderen Localitäten eigenthüm­lich sind und sich anderwärts nicht finden, sondern er deutete in allerdings wenig bestimmter Weise die Möglichkeit an, einzelne Formen, deren Verschie­denheit von den jetzt lebenden er ausdrücklich hervorhebt, könnten erloschen sein. Hooke hatte diese beiden wichtigen Sätze nicht zuerst ausgesprochen. Schon im Jahre 1678 waren von Martin Li st er wohl erhaltene Versteinerun­gen aus den älteren Tertiärschichten Englands untersucht worden. Dieser ausgezeichnete Conchylienkenner machte die Verschiedenheit der fossilen und lebenden Formen dadurch anschaulich, dass er beide nebeneinander abbildete. Lister's scharfem Auge blieb es überdies nicht verborgen, dass verschiedene Erdschichten auch verschiedene Versteinerungen enthielten; allein er zog aus alle dem den seltsamen Schluss, die Versteinerungen seien Naturspiele, „welche im Groben auf's Ungefähr hin den jetzt lebenden Muscheln nachgebildet seien, ohne deren Gestalt gänzlich erreichen zu können." Von solchem Irrthum hielt sich Hooke frei. Er verspottet die Meinung von den „Naturspielen" und be­steht darauf, dass die Versteinerungen wirklich das waren, was sie scheinen. Ja man müsse aus dem Vorkommen von versteinerten Schildkröten und grossen Ammonshörnern auf der Insel Portland den Schluss ziehen, England habe ehe­mals ein viel wärmeres Klima gehabt, als gegenwärtig. Wie weit Hooke seinen Zeitgenossen voraus war, geht namentlich daraus hervor, dass er es für möglich, wenn auch für sehr schwierig hielt, eine Chronologie der Versteinerungen herzustellen. Freilich sollte sich diese nur auf den Zwischenraum zwischen dem ersten Schöpfungstag und der Sündfluth beziehen.

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