Karl Alfred von Zittel: Handbuch der Palaeontologie. 1. Abtheilung, Paleozoologie. I. Band: Protozoa, Coelenterata, Echinodermata und Molluscoidea (München und Leipzig, 1880)

Einleitung - III. Geschichtlicher Überblick

30 Geschichtlicher Ueberblick. 30 und zahlreiche Parthei bildeten. Dem naiv frommen Sinn der damaligen Zeit erschien die Annahme, sämmtliche Versteinerungen seien durch die Sündfluth in die Erde gelangt am angemessensten, alle Einreden wurden als gottlos und religionsfeindlich verabscheut. Unter den Diluvianern ragen übrigens nicht wenig Männer von hervorragen­dem Talent oder von besonderen Verdiensten für die Versteinerungskunde her­vor. Der obengenannte Scilla, die Engländer Woodward, Burnet und Whist on, der Altdorfer Professor Bayer und vor Allem der Schweizer Jacob Scheuchzer gehören unter diese Zahl. John Woodward veröffentlichte im Jahr 1695 ein Werk (Essay towards the natural história of the Earth), worin er mit grosser Schärfe und theilweise mit trefflichen Argumenten die organische Natur der Versteinerungen nachzu­weisen sucht; später verliert er sich aber in abenteuerliche Speculationen. So nimmt er z. B. im Erdinnern eine ungeheuere sphärische Wassermasse an, über welche die Erdveste ausgespannt sei. Mit diesem Centraiwasser stehen der Ocean und die Quellen in Verbindung. Zur Zeit der allgemeinen Sündfluth, welche, wie aus der Zartheit der Pflanzenblätter und aus den Bergen versteiner­ten Fischrogens hervorgehe, im Monat Mai stattfand, brachen die Wassermassen aus dem grossen „Abyssus" hervor, zertrümmerten die Erdschichten, lösten alle Gesteine auf und setzten später sowohl diese als auch die im Wasser befind­lichen Versteinerungen nach ihrer Schwere geordnet in horizontaler Schichtung wieder ab. So beifällig das Woodward'sche System im Ganzen aufgenommen wurde, scharfe Denker, wie der berühmte Ray, konnten sich schon damals nicht damit befreunden. Noch grösseren Ruf als sein englischer Zeitgenosse erlangte Joh. Jacob Scheuchzer aus Zürich. Ihm war es beschieden, das Beingerüst eines ver­ruchten Menschenkindes, um dessen Sünde willen das Unglück über die Welt hereingebrochen war, zu beschreiben, und hat sich später dieser „homo diluvii testis" aus Oeningen auch als ein Riesensalamander herausgestellt, so verdient Scheuchzer doch wegen seiner hingebenden Begeisterung für die Wissenschaft und wegen seiner grossen Verdienste um die Kenntniss der schweizerischen Naturkunde, insbesondere der Versteinerungen einen ehrenvollen Platz in der Geschichte der Geologie und Palaeontologie. In einer Schrift „Piscium querelae et vindiciae" (1708) lässt Scheuchzer die versteinerten Fische klagen, dass sie unverschuldet die Opfer der Sündfluth geworden. Sie beschweren sich über die Ungerechtigkeit der Menschen, welche sie nicht als die Urerzeuger der jetzigen Fische anerkennen, sondern sie „vor mineralische Stein- und Mergel-Geburthen ansehen" wollten. Scheuchzer's übri­gen Werke richten sich gleichfalls gegen die Vertheidiger der Naturspiele, denen er durch genaue Beschreibung und gute Abbildungen den organischen Ursprung der Versteinerungen darzulegen sucht. Er gesteht übrigens ein, dass er die­selben früher auch für Naturspiele gehalten habe, aber später seien ihm die Augen über dergleichen Figurensteine aufgegangen. Die Diluvianer boten allen Scharfsinn auf, um die Schwierigkeiten zu be­seitigen, welche die Beschaffenheit, der Erhaltungszustand, und namentlich das

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