Leopold Auer - Manfred Wehdorn (Hrsg.): Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv (2003)

Geschichte - Michael Hochedlinger: "Geistige Schatzkammer Österreichs". Zur Geschichte des Haus-, Hof- und Staatsarchivs 1749-2003

22 Geistige Schatzkammer Österreichs Hofkriegsrat (seit 1711) waren. Selbst die schon 1753 vorgesehene regelmäßige Ablieferung von Staatsurkunden spielte sich erst wirklich ein, als Staatskanzlei und Hofkanzlei 1785 das Hausarchiv nochmals in aller Form zum alleinigen Aufbewah­rungsort von Originalverträgen mit fremden Mächte und Reichsständen erklärten; der Kaiser selbst mußte noch 1804 und wieder 1810 ein Gleiches für die Familienurkunden einschärfen. Bis zur Einrichtung des Archivs der Republik 1983-84 war das Haus-, Hof- und Staatsarchiv damit eine lebende Registratur für Österreichs Staatsverträge, bis 1918 auch für Familienurkunden der Herrscherdynastie. Für ihre Akten verfügte die Staatskanzlei zunächst über eine eigene „alte Registra­tur", die sie erst 1829 und in einer zweiten größeren Tranche 1851 an das Haus-, Hof- und Staatsarchiv abgab. Damit tat das Archiv den entscheidenden Schritt vom „Auslesearchiv" zum „Behördenarchiv". Noch später, teilweise erst nach dem Zusammenbruch der Monarchie, zogen die obersten Hofämter (Obersthofmeister, Obersthofmarschall, Oberstkämmerer, Oberststallmeister) samt angeschlossenen Dienststellen nach. Ähnlich spät folgten reiche Materialien aus dem kaiserlichen Kabinett, dem Sekretariat des Kaisers, die aber leider vielfach zur Komplettierung ande­rer Archivteile mißbraucht wurden. Was hier wie dort noch zurückgeblieben war, gelangte dann mit der Liquidierung der Monarchie ab 1918, als das k. u. k. Schriftgut mit einem Schlag „archivreif" wurde, in das Haus-, Hof- und Staatsarchiv, auf Umwegen sogar das Aktenmaterial der habsburgischen Privatvermögensverwaltung. Am toten Objekt waren die Zugewinne immer am erfolgreichsten und weitgehend­sten. Schon 1806 hatte das Archiv einen stolzen Teil des Schriftgutnachlasses des von Kaiser Franz II. (1792-1806/1835) soeben für erloschen erklärten Heiligen Römischen Reichs zur Verwahrung erhalten, nämlich die politischen Akten der Reichskanzlei und deren Urkundensammlung. Die Akten aus dem Geschäftsgang des Reichshof rates, des obersten Reichsgerichts, wurden 1807 zunächst wegen ihrer anhaltenden juristischen und politischen Bedeutung einer eigenen reichshofrätlichen Aktenkommission anver­traut, die diese umfangreichen Bestände erstmals wirklich bändigte und durch einge­hende Verzeichnisse erschloß. Erst mit der definitiven Auflösung der Kommission 1849 und der Übertragung des von ihr verwahrten Schriftgutes in die Obhut des Haus-, Hof- und Staatsarchivs war das alte Reichsarchiv wieder vereint. 1852 folgte noch das seit 1806 de facto herrenlose Mainzer Erzkanzlerarchiv. Beträchtlichen Zuwachs brachten außerdem die dramatischen Veränderungen der politischen Landkarte Europas während der Revolutions- und Koalitionskriege (1792- 1815). Mit den neuerworbenen Territorien übernahm Wien - und damit das Hausarchiv - die Archive von Venedig, Brixen, Trient und Salzburg-Berchtesgaden sowie Aktenmaterial, das man aus dem 1794 endgültig für Österreich verlorengegangenen Belgien in Sicherheit bringen mußte. Kein Wunder also, daß die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts die Zeit großangelegter, mit ungeheurem Fleiß durchgeführter Ordnungs­und Repertorisierungsarbeiten gewesen ist, die zum Teil bis heute Gültigkeit haben. Gestört wurde dieses redliche Bemühen durch zwischenzeitliche Abtretungen im Gefolge von Gebietsverlusten, vor allem aber durch die gründliche Plünderung des Hausarchivs, der reichshofrätlichen Aktenkommission und der „alten Registratur" der Staatskanzlei durch die Franzosen im Jahre 1809. Als die Dokumentenmassen 1814/15 zu einem schier unentwirrbaren Haufen zusammengeworfen nach Wien zurückkehrten, benötigte man Jahre, um sie erneut in ihre Bestandteile zu zerlegen. Ansonsten kümmerte sich die jetzt wieder heftige und in aller Regel dank der hohen Protektion der allmächtigen Staatskanzlei auch sehr erfolgreiche Sammelleidenschaft des Archivs, das erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die erstarkende landesgeschichtliche Forschung und die Landesarchive einigermaßen in die Schranken gewiesen wurde, wenig um die Bewahrung organisch gewachsener Schriftgutkörper. Diese wurden oft nach dem Betreffsprinzip aufgelöst und eingeteilt, meist aber derart inkonsequent, daß auch die praktische Benützung bis heute schwer darunter leidet. Erst

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