Gudrun Bohle: Die Frage der Läuterung im Alten Testament - Studia Theologica Budapestinensia 20. (1998)
II. - II.1. Jesaja 6,1-11
Vorstellung aus der traditionsgeschichtlichen Strömung zu erklären ist oder bereits einen neuen Inhalt gewonnen hat.26 Die Elemente, die Jesaja eingebaut hat, sind sowohl aus israelitischen Traditionen genommen als auch aus Traditionen, deren israelitischer Ursprung nicht wahrscheinlich ist27. In der Berufungserzählung ist der Einfluß der Jerusalemer Kulttradition besonders stark, zumal schon äußerlich die Bindung an den Tempel von Jerusalem deutlich wird durch die Tatsache, daß die Vision im ^3'nn stattgefunden hat.28 Gerade in der Jerusalemer Kulttradition gibt es aber Uberlieferungselemente, von denen man heute nicht mehr weiß, zu welchem Zeitpunkt sie in den israelitischen Glauben übernommen worden sind und wie weit dahinter aber noch die alten heidnischen Vorstellungen weitergewirkt haben.29 Jerusalem war zur Zeit Davids bereits eine bedeutende Stadt der Jebusiter, die auch mit größter Wahrscheinlichkeit einen eigenen Kult pflegte, ja wohl auch einen Tempel besaß. O.Keel hat dazu eine eingehende Studie30 angestellt. Demnach war dies eine kanaanäische 26 vgl. dazu z.B. : “Die Schriftpropheten wenden sich mit der Tradition gegen die Tradition, nämlich in der Sprache der Tradition gegen den Sinn der Tradition. ’’ W.H.Schmidt, Zukunftsgewißheit und Gegenwartskritik, 1973, S. 48. 27 H.Wildberger, BK X/l, 1972, S. 260: H.Wildberger stellt Einflüsse aus der “Welt der Jahweamphiktyonie " und “der jerusalemer Kulttradition ” fest. 28 H.Wildberger, BK X/3, 1982, S. 1602: "Es ist nicht erstaunlich, daß Jesaja, der seine Berufung im zu Jerusalem erlebte, bei aller Kritik der kultischen Frömmigkeit seiner Zeitgenossen tief im gottesdienstlichen Leben seiner Stadt verwurzelt war .. Jesaja konnte auf härteste Kritik seiner Zeitgenossen nicht verzichten, aber ebensowenig auf die Heilsvorstellungen, die mit dem Zi<+n verbunden waren. " 29 ebd., S. 1607: “Man tut gut daran, sich zu vergegenwärtigen, daß sich die Besitznahme Jerusalems durch den Jahweglauben erst gut 200 Jahre vor dem Beginn der Wirksamkeit Jesajas vollzogen hatte und zunächst nur Angehörige der Oberschicht und des Hofes zur Jahwegemeinde gehörten; die jebusitische Bevölkerung wurde weder vertrieben noch vernichtet ... gerade in Jerusalem wurden dem Glauben Israels Elemente integriert, die ihm von seinem Ursprung her fremd waren. ” 30 O.Keel, Fern von Jerusalem. Frühe Jerusalemer Kulttraditionen und ihre Träger und Trägerinnen, in: F.Hahn hg., Zion — Ort der Begegnung, 1993, S.439-502. 34