Gudrun Bohle: Die Frage der Läuterung im Alten Testament - Studia Theologica Budapestinensia 20. (1998)

I. Einleitung - Begriffliche Klärung von "Läuterung" - I.2. Beschreibung des Begriffsinhaltes von "Läuterung"

1.2.2. Die Notwendigkeit der Lösung dieser Spannung. In dem Moment, wo der Mensch sich im Alten Testament diesem souveränen und zugleich personalen Gott gegenüber sieht, werden zwei Richtungen wirksam. Einerseits verstärkt sich die Spannung zwischen den beiden Polen: der Gegensatz zwischen heilig und entweiht, zwischen rein und unrein, schließlich zwischen moralisch rein und unrein, wird schärfer und deutlicher empfunden. Die Begegnung mit Gott erfordert von der Seite des Menschen Reinheit und Heiligkeit. Andererseits erfolgt eine Bewegung der beiden Wirklichkeiten aufeinander zu: es werden Möglichkeiten gesucht, der Gefahr des Unreinen zu entgehen und dessen Macht abzustreifen, um in den Machtbereich des Reinen eintreten zu können. Es werden Möglichkeiten gesucht, den Mangel an Heiligkeit auszugleichen, etwa Schuld unwirksam zu machen oder zu entfernen. Letzteres kann seine Wurzel in der Sehnsucht des Menschen haben, der - negativ gesprochen - der Unheilssphäre entkommen möchte oder - positiv gesprochen - die Gegenwart Gottes und sein Heil erfahren möchte. Es kann aber auch umgekehrt sein: wenn der Wunsch nach einem Verhältnis mit dem Menschen oder mit seinem auserwählten Volk von Gott ausgeht. Die Erfahrung des Untergangs Jerusalems und des Exils lassen die Menschen mehr und mehr über dieses Verhältnis zwischen Gott und Mensch bzw. zwischen Gott und seinem Volk reflektieren44. Bisher eindeutige Systeme sind durch die Erfahrung der Geschichte zerbrochen. Die Beziehung zwischen Jahwe und seinem Volk war nicht mehr selbstverständlich. Die Kluft zwischen dem aktuell erfahrenen Unheil und dem Gott der Verkündigung und des alten Kultes war offensichtlich geworden und verlangte danach, erklärt, dann aber auch gelöst zu werden. 44 Das geschah in verschiedenen Schulen: vgl. N.Lohfink, Gab es/ eine deuteronomistische Bewegung, 1995, S. 122, der die geistige Situation im Babylonien des Exils schildert. Ein Antwortkomplex ist dabei der dtn/dtr Schule zuzuweisen, wo die Entwicklung und Ausformulierung einer “Bundestheologie” eine große Rolle spielt; eine andere Antwort bildete sich in priesterlichen Kreisen. 21

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