Christian Kuhn: Die theologische Begründung des Kirchenrechts - Studia Theologica Budapestinensia 2. (1991)
1. Einleitung
ment gegen Versuche einer Einmischung von weltlichen Machtträgern in innerkirchliche Angelegenheiten. Die Kirche wurde als societas perfecta verstanden, als eine (rechtlich) vollkommene Gesellschaft, die — nicht anders als der Staat, und von ihm unabhängig — ihr eigenes Recht aufbaut: das ius publicum ecclesiasticum. Dabei ging man von der sozialphilosophischen Prämisse „ubi societas — ibi ius" aus und gelangte über die Feststellung, daß Jesus Christus das Kollegium der Apostel, bzw. die Kirche als sichtbar verfaßte Gemeinschaft gestiftet habe, zum Schluß, daß der Kirche Recht wesensnotwendig sei(21). Diese im wesentlichen defensive Position war sowohl gegen die protestantische Lehre gerichtet, die die hierarchische Struktur der Kirche bestritt, als auch gegen gewisse rechtsphilosophische Strömungen des 19. Jahrhunderts, die die religiöse Ordnung auf den Gewissensbereich einschränken wollten und im Staat die einzige Quelle des Rechts sahen (R. V. IHERING). Eine solche — vorwiegend apologetisch orientierte — Kirchenrechtsbegründung wird heute so nicht mehr vertreten, manche Argumente moderner Autoren kommen jedoch in ihre Nähe 13