Anton Millner: "Die Gefangenenseelsorge" - Studia Theologica Budapestinensia 1. (1990)
I. Kapitel. Enleitung
Echte Schuldeinsicht, Schuldbewältigung und vor allem Schuldvergebung, die Voraussetzung für die Rückführung des Taters in die Gemeinschaft und Gesellschaft sowie die Versöhnung mit ihr, kann nur der Seelsorger im vollen Umfang vermitteln. Auch heute bleibt die Seelsorge an den Menschen in Haft ein genuiner Auftrag für die Kirche und für den Seelsorger. Der Seelsorger, der eine solche Aufgabe übernimmt, findet sich freilich am Schnittpunkt zweier Rechtsordnungen. Einerseits bewegt er sich in einer staatlichen Institution, die wie kaum eine andere von Recht und Verrechtlichung und Ordnungen bestimmt ist, die er - eben auch im Hinblick auf sein pastorales Anliegen und seine seelsorgliche Verpflichtung - sehr genau kennen und auch im Auge behalten muss; andererseits steht er als Amtsträger der Kirche zunächst und vor allem mit seinem Auftrag und seiner Sendung auf dem Boden kirchenrechtlicher Normen. Dies kann nicht selten eine Spannung erzeugen, in die sich der einzelne Seelsorger gestellt sieht, und die er - will er den Zielen seiner pastoralen Tätigkeit im Gefängnis entsprechen - bewältigen muss. Eine Untersuchung, die die rechtliche Stellung des Seelsorgers im Strafvollzug in den Blick nimmt, wird dieses Zu- und Nebeneinander verschiedener Rechtsordnungen nicht aus den Augen verlieren dürfen. Die vorliegende Arbeit stellt die Frage nach der rechtlichen Situation des Gefangenenhausseelsorgers. Es wird in ihr darum gehen, den Befund an kirchenrechtlichen Normen und Regelungen aufzuweisen, der seine Stellung umreisst. Aus der besonderen Position des Gefangenenseelsorgers ergibt sich, dass eine solche Darstellung der kanonistischen Grundlage für seine Arbeit nicht auskommen kann, ohne auch die staatliche und im besonderen die staatskirchenrechtliche Gesetzgebung zu berücksichtigen. Schon hier sei vermerkt, dass von der Anzahl wie auch vom Umfang her die Bestimmungen und Regelungen staatskirchenrechtlicher sowie partikularrechtlicher Natur, die sich auf die rechtliche Stellung des Gefangenenseelsorgers beziehen, bei weitem die gesamtkirchliche 14