Folia Theologica 15. (2004)

Helmuth Pree: Das Gewissen vor dem Forum des Kirchenrechts

DAS GEWISSEN VOR DEM FORUM DES KIRCHENRECHTS 97 Rechtmäßigkeit ist per se kein Beweis für die sittliche Qualität ei­ner Handlung oder Unterlassung. Auch umgekehrt gilt: Moralische Anforderungen (das gilt sowohl für objektive sittliche Grundsätze wie auch für das moralische Handlungsurteil im Gewissen im Ein­zelfall) müssen sich nicht mit dem decken, was das Recht in diesem Fall verlangt. Insbesondere lässt sich aus der erkannten objektiven oder auch nur subjektiven sittlichen Rechtfertigung eines menschli­chen Verhaltens kein subjektives Recht gegenüber der Rechtsord­nung ableiten, gemäß dem eigenen Gewissen und gegen das Recht zu handeln. Die Rechtsordnung kann sich nicht schlechthin der wechselnden Gewissensüberzeugung der Rechtsgenossen beugen, ohne sich selbst aufzuheben. Der Inhalt des Rechts bleibt - je nach Materie mehr oder weni­ger direkt - an die sittliche Grundlage rückgebunden. Insofern liegt die moralische Wertordnung der rechtlichen zugrunde und ist für sie norma normans, mithin dem Recht inhaltlich (nicht: formal) über­geordnet. Die Sittlichkeit ist ein (zwar fundamentales aber nicht das einzige) Kriterium für das Recht. Daneben gibt es Anforderungen an die Richtigkeit des Rechts, die sich aus den Sachgesetzlichkeiten der jeweiligen Regelungsmaterie (z. B. „Gesetze" der Naturwissen­schaften wie etwa der Medizin, der Ökonomie usf.) ergeben. Diese Sachgesetzlichkeiten muss sowohl die Moral als auch das Recht zur Kenntnis nehmen, andernfalls wäre die sittliche bzw. rechtliche Be­urteilung oder Regelung nicht gegenstandsadäquat. Im Verhältnis von Moral und Recht muss die Rechtsordnung der Moral entspre­chen, nicht umgekehrt. 2. Der Unterschied in der Verbindlichkeitsbegründung des vermittelten Anspruches Rechtsnormen beanspruchen eine heteronome, objektive, vom Gewissen des Normadressaten grundsätzlich unabhängige Geltung. Ihr entspricht auf Seite des Normadressaten die Pflicht zur Befol­gung. Diese wird auch dann erreicht, wenn sie nur widerwillig er­folgt5. Dem gegenüber gründet die Verbindlichkeit des sittlichen Urteils in der Einsicht des Menschen in die (moralische) Wahrheit und ist insofern autonom. Das sittliche Handlungsurteil berück­5 „... etsi non considerato qualiter ab agente fiat“: S.Th. II-II qu. 57 a. 1.

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