Folia Theologica 15. (2004)
Attila Thorday: Religions- und Ethikunterricht in Ungarn
FOLIA THEOLOGICA 15 (2004) 157 Attila THORDAY RELIGIONS- UND ETHIKUNTERRICHT IN UNGARN1 1. Vorgeschichte Der Nationalheilige Ungarns, der heilige Stephan, hat eine interessante moralpädagogische Schrift mit dem Titel „De institutione morum ad Emericum Ducem" („Sittliche Ermahnungen an Prinzen Emerich"; gegen 1030) verfasst.2 Zwar sind die Ermahnungen des heiligen Stephan selbstverständlich patriarchalisch fundiert, zugleich aber plädiert der Vater auch in seiner auf Autorität beruhenden Argumentation auf die eigene Einsicht des Sohns. Sprachanaly- tisch betrachtet stechen die Zeitwörter in dieser Ermahnung hervor; sie verraten den appellativen und durchaus gefühlvollen Charakter dieser Schrift: Ich rate, ich schlage vor, ich möchte, ich befehle, ich wünsche, ich verbiete; hüte dich, siehe dich vor, höre aufs Wort, halte dich, folge meinen Sitten ... „Ich schäme mich auch nicht, mein Sohn, dir noch in meinem Leben Lehren, Gebote, Ratschläge, Vorschläge zu geben, damit du mit ihrer Hilfe die Lebensweise sowohl deiner selbst als auch deiner Untertanen verzierst, wenn du in der Zukunft - falls es die Oberste Macht erlaubt - herrschen wirst."3 Bis zur Herausgabe der „Ratio Educationis" im Jahre 1777 gab es keinen Religions- oder Ethikunterricht als eigenständiges Unterrichtsfach an Mittelschulen, sondern Religion und Ethik waren selbstverständlich integrativer Bestandteil der einzelnen Unterrichtsfächer. Die 1806 eingeführte zweite „Ratio Educationis" schrieb dann bereits einen Ethik einschließenden Religionsunterricht (zwei Stunden pro Woche) sowohl in den staatlichen als auch 1 Der Beitrag beruht auf einem Vortrag des Verfassers im Rahmen des 6. Deutsch-Ungarischen Theologentags am 17.2.2004 in Budapest. Übersetzung ins Deutsche: Márton Hegyi. 2 Szent István király Intelmei és Törvényei [Ermahnungen und Gesetze des Heiligen Stephanus], Budapest 42003. 3 Ebd., 19.