Folia Theologica 15. (2004)
Christian Göbel: Philosophie des Mönchseins
PHILOSOPHIE DES MONCHSEINS 9 lieh aus seiner klassisch-philosophischen Bildung schöpfen konnte, so hat er auch formal Vorgänger in den Sentenzen, die besonders im Neupythagoreismus und der Stoa aufkamen. Diese antiken Sentenzen sammelten in loser Reihenfolge Kernsätze, ,Dogmen' einer philosophischen Schule, um sie jederzeit präsent zu haben. Von dieser Art Literatur wird es eine bedeutende Zahl gegeben haben müssen, allerdings ist sie größtenteils aufgrund ihres persönlichen, aber wenig originellen Zweckes und Charakters nicht erhalten geblieben. Ihr einziges überliefertes Beispiel ist das als „Selbstbetrachtungen" bekanntgewordene Werk des Marc Aurel. Evagrius steht demnach in einer (philosophischen) Tradition, die ihm nicht nur inhaltliche, sondern auch formale Vorgabe seines literarischen Gestal- tens war. Allerdings hat Driscoll zeigen können, daß die Reihung der Sprüche des Ad Monachos keineswegs so willkürlich ist, wie es den Anschein hat, sondern bewußt nach dem Schema geistlichen Fortschritts angelegt sind: „And yet this is a text whose value and interest can only be measured accurately once a key to reading it is discovered and actually used to unlock very rich levels of meaning in each of its proverbs. Then Ad Monachos becomes (...) one of the most interesting texts of the Evagrian corpus; for the reader comes to see that these proverbs are condensations of the already very condensed writings of Evagrius. But not only that. It is likewise seen that the arrangement of proverbs is anything but haphazard. Instead, it represents a very sophisticated presentation of Evagrian themes, together building an image of all the ins and outs of a journey of spiritual progress which begins with the first of the virtues and ends in knowledge of the Holy Trinity"13. Ad Monachos ist ein Text, der dazu gedacht ist, zur Meditation anzuregen, und jeder der Sprüche ist seiner eigenen Meditation wert. Aber dennoch wird der Reichtum der einzelnen Sätze noch von der Entdeckung des Musters seiner Plazierung im ganzen Text übertroffen, die niemals ohne Absicht ist. Dieses Gestaltungsprinzip liegt nicht an der Oberfläche des Textes. Es ist Driscolls Überzeugung, daß Evagrius möchte, daß sein Leser es entdeckt. „How? By careful meditation, by working 13 J. DRISCOLL:, The mind's long journey to the Holy Trinity: The Ad Monachos of Evagrius Ponticus. Collegeville, 1993, 2f.