Folia Theologica 6. (1995)

Gábor Adriányi: Warum und wie verließ Kardinalprimas József Mindszenty 1971 die amerikanische Botschaft zu Budapest?

90 G. ADRIÁNYI von Zágráb58, noch von Prag59, noch von Lemberg60 gehen. Doch gegen­über dem Haupt der Kirche muß der Gehorsam gezeigt werden. In ultima situatione ist das Pazmaneum noch magis tolerabile” [eher zu ertragen]61. Zwei Tage später schrieb der Primas in den Tagebüchern: „Heute schickte ich meinen geschlossenen Brief an den Hl. Vater und meinen offenen Brief an den Präsidenten der USA ab”62. Über beide Briefe refe­rierte er in seinen Memorien ziemlich ausführlich63. Er fragte den Präsi­denten Nixon, ob er noch weiter in der Botschaft verbleiben dürfe. Die Antwort kam prompt und lautete: er möge sich in sein Schicksal fügen. Nun wußte der Primas, daß er in der Botschaft nicht mehr gerne gesehen wurde. Er wußte aber auch, daß die Ursache nicht eine eventuelle Krank­heit war, sondern daß er im Wege der Entspannunspolitik stand. So nahm er das Angebot des Hl. Vaters an. Er lehnte jedoch die oben genannte dritte und vierte Bedingung kategorisch ab und unterschrieb gar nichts. Am 20. Juni 1971 schrieb er an Papst Paul VI. unter anderem folgendes: „Ich zögere nicht, wie ich dies auch in der Vergangheit stets getan habe, mein eigenes Schicksal den Interessen der Kirche unterzuordnen. In diesem Geiste und nach gewissenhafter Erwägung meiner Pflichten als Oberhirte, aber auch als Bezeugung meiner selbstlosen Liebe der Kirche gegenüber bin ich zu dem Entschluß gelangt, das Gebäude der Amerika­nischen Botschaft zu verlassen. Den Rest meines Lebens möchte ich auf ungarischem Boden, inmitten meines geliebten Volkes verbringen, unbe­schadet der äußeren Umstände, die mich erwarten. Sollten jedoch die Leidenschaften, die gegen mich genährt werden, oder vom Standpunkt der Kirche aus gesehen, schwerwiegende Gründe dies nicht ermöglichen, 58 N.J. 27. Juni 1971, S. 457-458. Der Primas weist darauf hin, daß der Erzbi­schof von Zagreb, Alois Stepinac, zu seiner Familie interniert wurde, vgl. „Erinnerungen" S. 397-398. 59 Die Ausreise des Prager Erzbischofs, Josef Beran, nach Rom erfolgte 1965. Später behauptete er, man hätte ihn getäuscht, denn drei Wochen später ließ man ihn nicht mehr zurückkehren, vgl. STEHLE, Hansjakob, Geheimdi­plomatie im Vatikan, Zürich, 1993, S. 314. 60 Papst Johannes XXIII. ließ Josip Slypyj, Großerzbischof von Lemberg 1963 nach Rom kommen. Später behauptete der Erzbischof, von den Bedingun­gen, die mit seiner Freilassung verbunden waren, nichts gewußt zu haben, vgl. STEHLE, ebd. S. 290-291. 61 N.J. 27. Juni 1971, S. 457-458. 62 N.J. 29. Juni 1971, S. 458. 63 Erinnerungen, ebd., S. 396-398.

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