Folia Theologica 6. (1995)

Bruno Primetshofer: Die Fähigkeit zum Ehekonsens nach Kanonischem Recht

DIE FÄHIGKEIT ZUM EHEKONSENS 27 stimmten Partner bedeutet71, läßt nur den Schluß zu, daß auch eine rela­tive incapacitas Nichtigkeit der Ehe nach sich zieht72. Freilich muß man dann wohl auch zwingend zu dem Ergebnis kommen, daß es Formen von (komplementärer) relativer Unfähigkeit gibt, die sich gegenseitig aufhe- ben. So weist Pinto Gomez mit Recht darauf hin, daß z.B. ein auf Seiten beider Partner vorliegendes übersteigertes sexuelles Verlangen, das, für sich genommen, gegenüber jedem anderen (normal veranlagten) Partner Nichtigkeit der Ehe im Gefolge hätte, in diesem besonderen Fall zu kei­nerlei Problemen führe und die Gültigkeit der Ehe nicht tangiert werde. Desgleichen könnten sich ein Sadist und Masochist auf diese Weise er­gänzen, ebenso wie komplementäre Neurosen und ähnliche abnormale Verhaltensweisen73. Demgegenüber bestreitet Pompedda die Möglich­keit, daß komplementäres relatives Erfüllungsunvermögen sich gegensei­tig aufhebe und somit eine gültige Ehe entstehen könne. Denn auf diese Weise müßte man eine Ehe als gültig anerkennen, die in Widerspruch zu fundamentalen ethisch-juridischen Grundsätzen des Eheverständnisses an sich, nicht nur eines christlich geprägten, stehe. Die Eingehung einer gül­tigen Ehe sei selbst dann auszuschließen, wenn (bei Vorliegen komple­mentärer Abnormität) die Ehepartner ein für sie subjektiv durchaus be­71 Dagegen C. BURKE, Some Reflections on Canon 1095, in: MonEccl 117 (1992), 133-150, bes. 142; DERS. Reflexiones en torno al canon 1095, in: IusCan 31 (1991), 85-105, bes. 97. Burke lehnt die rechtliche Relevanz der relativen Unfähigkeit ab, seiner Ansicht nach müsse sich die Unfähigkeit, um rechts­erheblich zu sein, auf die Institution Ehe und nicht auf die Person bezie­hen. Diese Unfähigkeit sei „incapacity regarding marriage considered es­sentially, in itself; not existentially, insofar as concerns the concrete partner chosen. Consensual incapacity relates to marriage, not to spouse. The incapacity is person-to-institution, not person-to-person". — Darauf ist zu erwidern, daß diese Sichtweise meiner Ansicht nach einen Rückfall in die abstrakt-institutionalistische Betrachtung des „Ehevertrags" des vorkonziliaren Kirchenrechts darstellt. Vom Tenor des c. 1057 § 2 ausge­hend kann man die Alternativen nicht so sehen, als ob die Ehe keine Person-zu-Person-Beziehung, sondern eine solche zwischen der Person und der Institution sei. Der Ehewerber heiratet nicht die Institution Ehe, sondern einen Partner, diesen allerdings eingebunden in das „matrimonia­le foedus" (c. 1055 § 1). 72 So mit einleuchtender Begründung PINTO GOMEZ, Incapacitas (Anm. 44), 27. 73 PINTO GOMEZ, ebda, 27. — Vgl. zu einzelnen Erscheinungsformen psy­chischer Erkrankungen vom medizinischen Standpunkt aus G. ROTH, Pa- storalmedizin und Kirchenrecht, in: ÖAKR 39 (1990), 192-208, bes. 199-202.

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