Folia Theologica 3. (1992)
Leo Scheffczyk: Zur Unsterblichkeitsproblematik bei Thomas von Aquin
ZUR UNSTERBLICHKEITSPROBLEMATIK 71 eine akzidentelle Einheit von Leib und Seele lehren, leicht zu erklären sei. Man könnte ihn hier freier übersetzen und sagen lassen: „Wenn ich Platoniker wäre, brauchte ich mir diese Schwierigkeiten nicht einzuhandeln.” Er weiß aber, was er tut, wenn er diese Gedankenschwierigkeiten trotzdem auf sich nimmt. Auch ist ersichtlich, daß dieser geschwächte, defiziente Zustand der Seele, in dem sie freilich zugleich auch fähig bleibt, in die Anschauung Gottes aufgenommen zu werden, nichts mit der glanzvollen platonischen Auffassung von der Befreiung der Seele aus dem Kerker des Leibes zu tun hat61. Es ist das keine strahlende vollendete Unsterblichkeit, sondern eine geschwächte, bedürftige, die deshalb auch nicht das Ziel des menschlichen Strebens sein kann. Dieses liegt vielmehr in der Auferstehung des Leibes, welche der Seele erst die Vollendung bringt. So stellt sich hier als letzte Frage wohl die folgende, warum Thomas an der schwierigen Position festhält, wobei angemerkt werden darf, daß das Schwierigere nicht schon das Falsche sein muß. Das gilt besonders hier, wo deutlich wird, daß die antithetische Denkweise über den Tod in strenger Entsprechung zur antithetischen Denkweise über den Menschen insgesamt steht, der als animal rationale sterblicher Träger einer unsterblichen Hoffnung ist. Es ist ein spannungsvolles, aber kein widersprüchliches Denken über den Menschen. Darum kann die Frage nach dem Warum des thomasischen Lösungsvorschlags auch mit der Erwartung verbunden werden, daß seine hier aus seinem Werk und ohne forcierte Modernität erhobene Deutung ein 4. Beitrag für das heutige Gespräch sein kann. Dieser Nachweis scheint zunächst in einer formalen Hinsicht zu gelingen. Damit ist die auch an diesem Punkt von Thomas geknüpfte Verbindung von philosophischem Denken und Theologie gemeint. So ist der stark philosophische Antrieb nicht zu übersehen, der dieses Denken bis zur Unsterblichkeit trägt, dann aber den Überstieg zur Auferstehung der theologischen Erkenntnis überläßt. Es ist das, auch unabhängig von der Annahme der materialen Gehalte dieses Denkweges, ein 61 Vgl. J. PIEPER, „Tod und Unsterblichkeit, 167; R. SCHENK, 506.