Folia Theologica 2. (1991)

Peter Henrici: Kann es heute eine christliche Kultur geben?

CHRISTLICHE KULTUR 73 3. Christliche Philosophie und Kultur heute Wenn wir uns in einem abschliessenden, dritten Teil des Vortrags fragen, ob und wie denn nun heute, bei der eben beschriebenen Ausgangslage, eine christliche Philosophie und eine christliche Kultur möglich seien, müssen wir zuerst einen wichtigen Hinweis beachten, den uns die christliche Philosophie der Väterzeit und Mittel-alters geben können. Diese Philoso­phien (und die ihnen zugeordneten Theologien) waren jedenfalls nicht totalitär, eher schon pluralistisch. Es gab schon im Altertum, ja im Neuen Testament, eine Vielzahl christlicher Theologien, die gleichberechtigt nebeneinander, die markianische, paulinische, johanneische, vielleicht die petrinische; die antiochenische und die alexandrinische, die griechische und die lateinische Theologie. Diese pluralistische Tradition hat sich dann in die Verschiedenheit der mittelalterlichen Schulen fortgesetzt, und sie ist auch in der Neuzeit (jedenfalls von den Konzilien und wenigstens grundsätzlich) sorgsam geachtet und gewahrt worden. 1. Das sagt zweierlei: zum einen kann es keinen kulturellen oder philoso­phischen Imperialismus des christlichen Glaubens geben; dem der Glaube kann sich in verschiedenen, ja gegensätzlichen menschlichen Denk- und Ausdrucksformen ausdrücken und heimisch fühlen. Zum andern ist eben dadurch auch gesagt, dass sich das Christentum eher in einem pluralisti­schen als in einem totalitären Kulturmodell beheimaten kann - die Gegen­probe ist in den letzten Jahrzehnten ja leider zur Genüge erbracht worden. Eigenartigerweise nahm jedoch der erste grosse Versuch, das Christentum und das christliche Denken in der späten Neuzeit zu inkulturieren, eher das totalitäre Denkmodell zum Vorbild. Ich meine den sogenannten Ul­tramontanismus, wie er im Lauf des letzten Jahrhunderts systematisch aufgebaut wurde, und wie er (nach dem Urteil eines zeitgenössischen holländischen Kirchenhistorikers) überhaupt die erste eigentlich christli­che, aus dem Christentum erwachsene und einheitliche Kultur darstellt. Dass gerade ein Holländer den Ultramontanismus so hoch einschätzt, ist übrigens verständlich; waren doch gerade in Holland bis zum zweiten Weltkrieg alle Lebensbereiche streng konfessionell geordnet; es gab sogar einen „römisch-katholischen Ziegenbock(züchter!)verein”. Diese ultra- montane Kultur gab sich nun als einheitliche philosophische Grundlage die Neuscholastik. Die Enzyklika „Aeterni Patris”, die 1879 Thomas von \

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