Folia Theologica 2. (1991)

Leo Scheffczyk: Das Petrusamt: Dienst an der Einheit in der Wahrheit

10 L. SCHEFFCZYK Dabei erwies sich, daß das Lehrwort der Päpste nicht so sehr in der Absicht zur Entfaltung und Weiterentwicklung der christlichen Wahrheit erging, sondern zu ihrer Rückbindung an den Ursprung und zu ihrer Normierung an der Überlieferung gesprochen wurde. In diesem Sinne kann das im Ketzertaufstreit von Stephan I. gesprochene Wort „Keine Neuerung, son­dern bei der Tradition bleiben” wie ein für alle Zeiten bestimmtes Prog­ramm der päpstlichen Lehrverkündigung angesehen werden. Man könnte diesem Programm gegenüber freilich den Vorwurf erheben, daß es nicht schöpferisch, nicht vorwärtsweisend und zukunftsträchtig, sondern geradezu retrospektiv gehalten sei. Ein solcher Einwand würde aber zweierlei verkennen: Einmal, daß die Päpste damit in vielen Fällen tatsächlich auch der Entfaltung der Lehre dienten (wie besonders ihr Eingreifen in die trinitarischen Streitigkeiten des 3. Jahrhunderts zeigt); zum anderen, daß Tradition als Bewahrung und Gegenwärtigsetzung des Ursprungs etwas durchaus Lebendiges und die Zukunft Bestimmendes ist. Das hängt mit der Einmaligkeit und immerwährenden Gültigkeit des Christusereignisses und seines Wahrheitsgehaltes zusammen. Wenn diese in der Vergangenheit gesehene Tat und Wahrheit nicht beständig an die Gegenwart überliefert wird, kann es für die auf Christus verpflichtete Kirche keine Zukunft geben; denn anders würde sie sich von ihrem Ursprung lösen und nicht mehr Kirche Christi sein. Wenn demnach die von den Päpsten ausgeübte Lehrvollmacht auch nur die Überlieferung und Auslegung der Offenbarungswahrheit zum vorzüglichsten Gegenstand hatte, so ist schon das nicht als ein unschöpferischer und mechanischer Vorgang zu verstehen, sondern als lebendiges Zeugnis, das, auf eine bestimmte Zeit und Situation ausgerichtet, durchaus schöpferischen Cha­rakter haben konnte. Auch die Aufgabe der Bezeugung der unverbrüchlichen Wahrheit des Evangeliums Jesu Christi ist in ihrem Wesen nicht den Päpsten allein Vorbehalten, sondern an sich eine gesamtkirchliche Aufgabe. Nach dem ersten Timotheusbrief ist die Kirche als ganze „eine Säule und Grundfeste der Wahrheit” (1 Tim 3, 15). Sie wäre nicht die Kirche Jesu Christi, wenn sie von der Wahrheit Jesu Christi wieder abirren könnte. Dann wäre Christus nicht mehr bleibend in ihr (vgl. Mt 28, 20),' sondern könnte sich nur noch fallweise dann und wann in ihr ereignen. So ist die Aufgabe der verbindlichen Wahrheitsverkündung des Petrusamtes genauso im Wesen

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